: Blickdichte Bierstuben
Die Welt ist eine Kugel (6): Auf der Suche nach den schönsten Flipperstandorten
Es ist Samstagnachmittag, und ich betrete das Café Klatsch an der Markthalle in Moabit, Bugenhagen- Ecke Bremer Straße. Ich grüße die Wirtin und laufe zielstrebig zur Apparatur im Nebenraum. Es ist ein „Maverick“-Apparat von Data East. Schon von weitem erkenne ich das Malheur. Das Gerät ist nicht in Betrieb, ausgeschaltet, kaputt! Die Wirtin erklärt mir, dass der Techniker informiert sei und in ein bis zwei Wochen vorbeikomme – so lang können die taz-Leser nicht warten. Ich verabschiede mich, trete vor die Tür, ein herrlicher Tag.
Früher suchte ich Städte stundenlang nach Comicshops ab – und fand sie instinktiv fast allesamt. In München, Stuttgart, Hamburg, Köln. In London, Paris, Kopenhagen, Antwerpen. Ich hatte ein Ziel: „Shade – The Changing Man“ Nummer zwei – die schmerzhafteste Lücke in meiner Comicsammlung. Fündig wurde ich schließlich in einem Laden ganz in der Nähe meiner Wohnung im Ruhrgebiet. Herr Rutschky erzählte mir einmal, dass er Berlin kennen lernte, indem er mit der S- oder U-Bahn zu den jeweiligen Endhaltestellen fuhr und von dort aus zurück nach Hause lief. Auch das ist eine Möglichkeit. Ich für meinen Teil aber halte heute statt nach Comicshops lieber nach unbekannten Flipperstandorten Ausschau.
Und so laufe ich los, wandere durch friedliche Wohnviertel, spaziere durch geschützte Grünanlagen, verteile in der Universität der Künste Werbezettel für eine Lesung am Samstag, sehe die Siegessäule, beobachtete ein zutrauliches Eichhörnchen, marschiere in die Giraffe und rückwärts wieder hinaus, ich sehe den Funkturm und schon wieder die Siegessäule, überlege, ob ich meiner Schwiegermutter einen Besuch abstatten soll, überquere eine und noch eine Brücke, benutze die Toilette des Schleusenkrugs, stöhne, weil ich viel zu warm angezogen bin, ich höre eine Bahnhofsansage, werde von zwei Kamelen angegafft, möchte einen Whopper essen, kann meinen Appetit aber zügeln, ich betrachte die Gedächtniskirche und erinnere mich an die Demonstration gegen den IWF/Weltbank-Kongress 1988, ich marschiere in Joe’s Wirtshaus und rückwärts wieder hinaus, stöbere in den Bücherauslagen von Wohlthat und bin erleichtert, dass ich nichts finde, ich laufe durch das laute Irish Pub im Untergeschoss des Europa-Centers, sehe schon wieder die Gedächtniskirche, schreite durch eine hässliche, gigantische, abgehackte Silberwurmskulptur, traue mich nicht in die blickdichte Bierstube „Nürnberger Trichter“, mir ist kalt, ich zähle die Regenbogenfahnen in der Fuggerstraße, werde nass und suche Unterschlupf im Elektronikkaufhaus Conrad an der Urania, wärme mich auf, benutze die Kundentoilette und überlege, ob ich ein sechspoliges FireWire-Kabel erwerben soll, nehme aber angesichts des stolzen Preises davon Abstand, laufe weiter, befinde mich schon wieder in der Fuggerstraße, stehe vor dem Heckmeck (vgl. taz berlin vom 11. September 2004), es ist bereits dunkel, ich bestaune die Bannerwerbung auf dem grün-weißen Zollauto, www.zoll-stoppt-schwarzarbeit.de, laufe am Straßenstrich in der Kurfürstenstraße vorbei, frage mich, ob die Gaststätte Neue Mitte von Heidi und Rainer nur bei Länderspielen mit der Deutschlandfahne beflaggt ist, ich halte vor einer Schranke, sehe keine Möglichkeit, den Bahndamm zu überqueren, ersuche einen Passanten um Rat, er schickt mich zurück, ich habe entsetzlichen Hunger, stehe vor einer großen Kirche, umrunde den Platz, schaue in drei Kneipen, entdecke keinen Flipper und gebe auf.
Ich laufe zur U-Bahn-Station, setze mich in die U2 und fahre nach Haus.
Für die nächste Folge bewege ich mich wieder auf bekanntem Terrain, versprochen!
MARC DEGENS