: Blauer Brief für die Schweiz
Der europäische Fußballverband droht den Gastgebern der Europameisterschaft 2008 mit Konsequenzen. Nicht allein der gescheiterte Stadionneubau in Zürich sorgt dabei für Missstimmung
AUS FREIBURG CHRISTOPH KIESLICH
Knapp vier Jahre vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und in Österreich herrscht helle Aufregung. In einem ungewöhnlich scharf formulierten Brief an die Adresse des Schweizerischen Fußballverbandes lässt die Europäische Fußball-Union (Uefa) kein gutes Haar am Stand der Vorbereitungen. Das gescheiterte Stadion-Projekt in Zürich, die Kosten für die Sicherheit und fehlende gesetzliche Regelungen sind nur einige Punkte aus dem vertraulichen Schreiben, das der Sonntagszeitung in Zürich zugespielt wurde. In den Strudel gerät nun Verbandspräsident Ralph Zloczower, dem in den ersten Reaktionen sogar der Rücktritt nahe gelegt wird.
Wie peinlich den Schweizern die ungeschminkte Kritik der Uefa ist, zeigen die Wellen, die am Wochenende hochschlugen. Adolf Ogi, ehemaliger Bundesrat und UNO-Sonderbeauftragter für Sport, sieht das nationale Ansehen gefährdet, und im Tagesanzeiger legte Weltverbands-Präsident Joseph Blatter am Montag nach: „Langsam habe ich das Gefühl, die Schweizer sind sich gar nicht bewusst, welchen Auftrag sie mit der Durchführung einer Europameisterschaft haben.“ Während die Turnierdirektion und der Fußballverband von einem „politischen Schreiben“ sprechen und versuchen, die Bedeutung herunterzuspielen, rät Blatter seinen Landsleuten, den blauen Brief der Uefa ernst zu nehmen: „In meinen 30 Jahren bei der Fifa haben wir noch nie einen solchen Brief schreiben müssen.“
Als die EM 2008 im Frühjahr 2002 in Genf an die Doppelbewerbung Österreich/Schweiz vergeben wurde, herrschte bei den Eidgenossen noch eine euphorische Aufbruchstimmung. Die Nationalmannschaft schickte sich gerade an, sich für die EM in Portugal zu qualifizieren, und der FC Basel versetzte mit seinen für schweizerische Verhältnisse fulminanten Auftritten in der Champions League das ganze Land in Fußballfieber. Vier nagelneue EM-Stadien versprachen die Schweizer Veranstalter der Uefa damals.
Doch während die Arenen in Basel und Genf bereits bespielt werden und der Neubau an Stelle des altehrwürdigen Berner Wankdorf-Stadions demnächst in Betrieb genommen werden kann, entwickelte sich um das Projekt in Zürich ein Trauerspiel. Aufgrund von Anwohner-Einsprüchen ist ein großer Entwurf für den Hardturm, wo der Rekordmeister Grasshoppers Club beheimatet ist, gescheitert. Als Notlösung ist nun die Modernisierung des Letzigrunds vorgesehen, alljährlich Austragungsort des renommierten Leichtathletik-Meetings. Auf mindestens 120 Millionen Schweizer Franken – rund 77 Millionen Euro – werden die Kosten veranschlagt, doch die nötigen Genehmigungen liegen noch nicht vor. Und dreieinhalb Jahre vor der Euro 2008 rechnen Skeptiker nach den schlechten Erfahrungen mit dem Hardturm damit, dass bereits ein einzelner Einspruch genügt, um auch diese Variante zu kippen.
Fifa-Chef Blatter, aufgeschreckt durch einen Besuch von Uefa-Präsident Lennart Johansson, bei dem der Schwede seinen Erzrivalen um Hilfe bat, hat inzwischen alle Hebel in Bewegung gesetzt. „Das ist ein Warnschuss der Uefa.“ Blatter hat sich an Bundespräsident Joseph Deiss gewandt mit dem Hinweis, dass es sich um eine „nationale Angelegenheit“ handelt. Unmissverständlich haben Johansson und sein Generalsekretär Lars-Christer Olsson in ihrem Brandbrief an „wesentliche Bedingungen“ wie die acht Stadien – vier in Österreich, vier in der Schweiz – erinnert und warnen: „Die Uefa könnte vor eine heikle Situation gestellt werden, wonach unterlegene Kandidaten den Entscheid, die Euro 2008 Österreich und der Schweiz zu vergeben, anfechten zu können.“ Laut Blatter haben sich Irland und Schottland bereits beschwert.
Die drei in Zürich vorgesehenen EM-Spiele könnten im Notfall auf die anderen drei Standorte verteilt werden, und aus Basel, wo der St.-Jakob-Park bis zum Juni 2008 auf eine Kapazität von über 40.000 Zuschauern ausgebaut wird, wurde bereits Interesse signalisiert. Doch dass die Schweizer eine vierte Arena nicht auf die Reihe bekommen, ist nur ein spektakuläre Schauplatz der Auseinandersetzung mit der Uefa. Die beklagt darüber hinaus eine mangelnde politische Rückendeckung, und zwar in beiden Veranstalterländern, pocht auf Steuerbefreiung etwa für die Preisgelder, sie moniert fehlende Gesetze zum Schutz der Sponsoren oder zur Bekämpfung des Schwarzmarktes bei den Eintrittskarten und stellt fest, dass in der Schweiz ein „völlig ungenügender Betrag“ zur Deckung der Kosten für die Sicherheit bereitgestellt wurde.
Das könnte – auch im Hinblick auf die Stellung von Ralph Zloczower – noch Weiterungen mit sich bringen. War dem 71-jährigen Verbandspräsidenten während der EM in Portugal schon ein miserables Krisenmanagement bei der so genannten „Spuck-Affäre“ um Nationalspieler Alex Frei attestiert worden, haben die Sponsoren der Nationalmannschaft nun ultimativ Konsequenzen gefordert. Nun wird Zloczower vorgerechnet, dass er die Zusagen für die Sicherheit völlig falsch eingeschätzt hat. 3,5 Millionen Franken sind budgetiert, weitere sieben Millionen sind von einzelnen Kantonen bewilligt, doch in Portugal verschlang allein das Sicherheitskonzept 45 Millionen Franken.
In den nächsten Wochen werden die Schweizer EM-Organisatoren hektisch über ihre Bücher gehen müssen, um überzeugende Antworten auf all die Fragen der Uefa zu liefern. Dem Schweizer Fußballverband blies am Montag jedenfalls der Wind aus allen Richtungen entgegen. Das Boulevardblatt Blick macht vor dem Verbandstag im Februar eine „generelle Führungsschwäche“ aus und fragt ätzend: „Vermasselt uns Zloczower die EM endgültig?“ Der Tagesanzeiger macht darauf aufmerksam, dass Sponsoren und Klubvertreter aus Zürich, Bern und Basel bereits am Sturz des Präsidenten arbeiten.