Black-Sabbath-Biografie: Blutige Urszene des Metal
Tony Iommi, Gitarrist von Black Sabbath und „Godfather of Metal“, hat seine Autobiografie vorgelegt. Darin erfährt man viel über seinen unersättlichen Ehrgeiz.
Anfang der sechziger Jahre nahm der junge, talentierte Gitarrist Tony Iommi mit seine Band The Rockin’ Chevrolets in den Birminghamer Clubs die Songs von Chuck Berry, Bo Diddley und Eddie Cochran auseinander.
Tagsüber jobbte er in der stahlverarbeitenden Industrie – wo denn sonst? –, bis eine andere Rock-’n’-Roll-Truppe, The Birds & The Bees, ihn für ihre anstehende Europatournee engagierte. Der ewige Adoleszenztraum von einer Karriere als Profimusiker schien wieder einmal in Erfüllung zu gehen.
An seinem letzten Tag in der Fabrik musste Tony Iommi für einen Kollegen an der Blechstanze einspringen. „Ich hatte noch nie an der Maschine gearbeitet, und es lief alles ganz gut, bis ich für einen Moment die Konzentration verlor. Mit einem lauten Knall quetschte mir das Stahlmonstrum die Fingerkuppen der mittleren Finger ein. Reflexartig riss ich die Hand zurück und verlor dabei zwei Fingerenden. Entsetzt sah ich die hervorstechenden Knochen. Überall floss Blut.“ Das ist eine der Urszenen des Heavy Metal.
Nicht nur, dass Tony Iommi ohne diese Verletzung und den damit verbundenen Karriereknick sich niemals mit dem Anfänger Ozzy Osbourne eingelassen, es also niemals eine Band mit dem Namen Black Sabbath Band gegeben hätte. Nein, dieser Arbeitsunfall beeinflusste auch ganz fundamental Iommis Spielweise und Sound.
Der eigene neue Stil
„Ich musste meinen Stil neu erfinden und einen Weg suchen, der mir die Schmerzen erspart.“ Also bastelte er sich, nachdem seine amputierten Finger wieder verheilt waren, mit Leder beklebte Plastikprothesen, die ihm ein halbwegs komfortables Greifen ermöglichten. Schließlich lockerte er den Saitendruck, um die lädierten Fingerspitzen zu entlasten.
Dadurch veränderte sich zwangsläufig die Stimmung der Gitarre. Sie wurde tiefer. Und immer tiefer. Beim dritten Album, „Master of Reality“, stimmte er sie gleich um drei Halbtöne herunter. Erst Iommis Verletzung schuf mithin den charakteristischen düster-dröhnenden, bronchialkatarrhalischen, das Genre definierenden Gitarrensound. Ein „neues und monumentales Klangbild“, wie er selbstbewusst konstatiert, „das sich von allen Bands unterscheidet, damals wie heute.“ Aber dieser Sound wurde traditionsbildend.
Und so offenbart sich auch bei der Genese des Heavy Metal ein altes ästhetisches Prinzip. Erst die Deformation, der unkalkulierte Bruch der Konvention, zeitigt einen ernst zu nehmenden Individuationsgewinn. Und der wird mitunter zum Impulsgeber der Innovation – jedenfalls, wenn er so suggestiv und überzeugend auftritt wie die morbid-schönen Riffs von Tony Iommi.
Wenn das verzerrte Gitarrenriff das elementare Erkennungsmerkmal des Heavy Metal darstellt, dann ist Iommi, noch vor Jimmy Page und Ritchie Blackmore, sein wahrer Stammvater, denn seine Rhythmusgitarrenarbeit auf Black-Sabbath-Klassikern wie „N.I.B.“, „War Pigs“, „Iron Man“ oder „Paranoid“ hat dieses Genre so geprägt, dass man es sich ohne sie gar nicht mehr vorstellen kann.
Kreative Energieleistung
Iommis kreative Energieleistung setzte ein wahrhaft eisernes Arbeitsethos voraus. Und noch etwas gehört unmittelbar zu dieser Erfolgsgeschichte: sein brennender, schier unersättlicher Ehrgeiz, gepaart mit einer über Leichen gehenden, auf so etwas wie Loyalität pfeifenden Skrupellosigkeit.
Wer den Arbeitsprozess behindert, wird gefeuert oder gemobbt und so indirekt zum Ausstieg gedrängt – und irgendwann wieder mit offenen Armen aufgenommen, wenn eine (Teil-)Reunion monetären Erfolg verspricht.
So verjagt er Ozzy und Bill Ward, als deren Suchtkarrieren das Geschäft behindern, Ronnie James Dio, den Sänger der zweiten legendären Sabbath-Fomation, als dieser ihm die Führungsrolle in der Band streitig zu machen droht, und immer wieder den großartigen, aber eher uncharismatischen Sänger Tony Martin, wenn Dio oder Ozzy mal wieder an der Reihe sind.
Kein eigener Ton
Gerade die ewigen Besetzungswechsel am Mikrofon, die fast jeden klassischen Metal-Sänger der ersten Garde, neben Dio eben auch Ian Gillan, Glenn Hughes und sogar Rob Halford, irgendwann mal in die Band geführt haben, zeitigten schließlich einen deutlichen Reputationsverlust bei einer Hörerschaft, für die Authentizität keine bloße Pose sein soll. Tony Martin, der vermutlich selbst nicht mehr zählen kann, wie oft er vor die Tür gesetzt und als Notbehelf wieder zurückgeholt wurde, ist der ewige Hanswurst in Iommis Marionettentheater.
Und er nutzt seine Autobiografie mit dem sinnigen Titel „Iron Man“, um noch einmal nachzutreten. Er könne sich eigentlich gar nicht mehr so recht erinnern an die Songs mit dem glücklosen Interimsfrontmann, heißt es an einer Stelle vernichtend. Aber auch das, woran er sich besser erinnert, bleibt blass und unkonkret.
Im Gegensatz zu Ozzy, dem bzw. dessen Ghostwriter Chris Ayers es in seiner Autobiografie oft gelungen ist, diese immer etwas langweilige Serialität von Plattenaufnahmen, Welttournee und Drogenabusus anekdotisch aufzubrechen, also diese eher ennuyante Rockstar-Existenz in Geschichten zu überführen, mangelt es Iommi schlicht an narrativem Talent. Ganz anders als auf der schwarzen Gibson SG verfügt er rhetorisch über keinen eigenen Ton.
Und sein Transkribent T. J. Lammers hatte nicht die Souveränität, die nötig gewesen wäre, um aus diesem eher faden Berichtsermon eine kurzweilige Lebensbeschreibung zu formen. Wir warten deshalb weiterhin auf das von Rick Rubin produzierte Black-Sabbath-Reunion-Album!
Tony Iommi (mit TJ Lammers): „Iron Man. Von Black Sabbath bis Heaven & Hell“. Aus dem Englischen von Alan Tepper. Hannibal Verlag, Innsbruck, 381 Seiten, 29,99 Euro
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