Black Dice veröffentlicht "Repo"-Album: Sensenmänner des Krachs
Manche Geräusche auf der Platte haben eher was von der Nieten-, Leder- und Industrialversion alter Comedy-Sounds à la pupsende Oboe und Furzkissen. Eine Rezension
Repo ist ein geläufiges Wort der Krise: Reposession. Firmen holen sich längst verkaufte Produkte zurück, deren Käufer mit den Raten nicht nachkommen. Der Repo Man ist der Nachfolger von Gerichtsvollzieher und Inkasso-Prügeltrupp als sozialer Sensenmann. Black Dice, die virtuos brutale Gewalt-Beat-Einheit aus New York, scheint mit ihrer gleichnamigen neuen Produktion Anspruch auf abhanden Gekommenes zu erheben. Nur was ist es, das sie zurückholen wollen, wessen rechtmäßige Eigentümer sind sie? Des großen, bösen Knirschkrachs, der draußen auf der Straße liegt?
Das zum Trio geschrumpfte Kollektiv hat sich im Zuge seiner Entwicklung zusehends mehr auf die digitale elektronische Bearbeitung ihres Materials konzentriert. Tribal Drumming und instrumentale Improvisationen sind zugunsten einer Feinarbeit am großen Krach in den Hintergrund getreten. Black Dice stellen sich die paradoxe Aufgabe, einerseits den großen, überwältigenden, keine Gefangenen machenden Lärm zu erzeugen und ihn zugleich genau und zielsicher auf Mikroeffekte und Feinheiten zu bearbeiten. Man will einen Bulldozer in Bewegung setzen und dann mit Juwelierbesteck gegen ihn antreten: Kabinettstückchen in der Schwerindustrie. Kein Problem im digitalen Zeitalter.
Denn das Material leistet bekanntlich keinen Widerstand mehr. Wenn man eine Musik entwerfen will, die einer Ästhetik der Kraft körperlicher Anstrengung und physischer Reibung entspricht, muss man erst einmal etwas Stabiles aufbauen, an dem abzuarbeiten sich lohnt. Es müssen symbolische Wände, Maschinen, Metalle und Betonflächen her oder eben Simulationen, gegen die man rhythmisch anrennen kann, die sich stürmen, schleifen und zerhacken lassen. Das Anrennen passiert natürlich nicht wirklich. Die Anmutung konkreten und so dann bearbeiteten Geräuschs und das Gepäck von Chaos, Baustelle und Außenwelt, die diese Geräusche mit sich herumschleppen, sind inszeniert. Ich habe damit kein Authentizitätsproblem. Aber natürlich lässt sich die Spannung zwischen hochfeinem Keil und grobem Klotz nicht aufrechterhalten. Es ist ein bisschen wie ein Kampfspiel gegen sich selbst. Und das wirkt, wie auch die hier und dort spürbar selbstironische Band selber weiß, manchmal komisch. Manche Geräusche haben was von der Nieten-, Leder- und Industrialversion alter Comedy-Sounds à la pupsende Oboe und Furzkissen.
Je versierter, aber auch routinierter Black Dice wurden im Umgang mit den Feinheiten digitalen Krachs, desto schwerer fällt es, auch die drastischen Effekte noch im Modus körperlicher Nähe zu hören. Man tendiert zum Genießen. Was früher "krass" war, klingt heute "geil". Einen Gedärme verwirbelnden Bass hat heutzutage eh jede New-Wave-Revival-Kapelle. Dabei beginnt es noch jedes Mal gewaltig, wenn hier ein Sound und sein Spektrum vorgestellt werden. Doch dann wird eine oft rhythmische, ja gelegentlich fast funky Bearbeitung abgespult, der man sogar so etwas wie Leichtigkeit anhört. Alles Wuchtige und Wütende wurde nur herbeigeschafft, um in Bewegung gebracht zu werden. Der Feind ist ein Pappkamerad, eigentlich wollen wir tanzen; nur halt in Camouflage-Klamotten.
Für den heutigen Geschmack konstruieren Black Dice auf "Repo" so etwas Ähnliches wie es in den 80er-Jahren die Leute um Tackhead, Mark Stewart & the Maffia oder Cabaret Voltaire für frühe Synthi- und Industrial-Musik geleistet haben: der immer noch an Übertritt und Verletzung gemahnende Gewaltklang wird in federnde Kugellager eingefügt. Und das machen sie enorm virtuos und abwechslungsreich. Sie gehen aber auch nicht den ganzen Weg. Obwohl sie weltführend gerade bei dem Design solcher electronic body sounds sind, ist "Repo" auch keine Tanzplatte geworden. Es ist eher eine beeindruckende Vorführung von Verfügung über digitale Musique-Concrète-Drastik-Effekte, die natürlich alles andere als "concrète" sind. Man weiß nur noch nicht genau, was Black Dice mit ihrer ganzen Gestaltungsmacht heutzutage eigentlich vorhaben.
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