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■ Bittere Erkenntnis nach drei Jahren Krieg in Bosnien:Triumph des totalitären Denkens

Schon vor drei Jahren formulierte Radovan Karadžić sein politisches Ziel mit aller Klarheit und Deutlichkeit: Das bosnische Modell, die multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft, sollte zerschlagen werden. Und Karadžić ist erfolgreich geblieben. Der „Führer der bosnischen Serben“ beanspruchte schon damals mehr als zwei Drittel des Landes.

Indem er seiner Soldateska freie Hand ließ und mehr als 200.000 Menschen, zum Teil in Konzentrationslagern, verstümmelt oder vergewaltigt wurden, ist seine wohlkalkulierte Strategie verwirklicht worden: Mit dem Terror wurden die Nichtserben aus diesen Teilen Bosniens vertrieben. Über 900 Moscheen und katholische Kirchen wurden dem Erdboden gleichgemacht, Friedhöfe eingeebnet, Kunstwerke zerstört. Die Spuren der jahrhundertealten Kultur der „anderen“ sollten ausgelöscht werden.

Daß am Ende des ausgehenden 20. Jahrhunderts eine solche Barbarei geschehen konnte, obwohl sie – zumindest, was Europa betrifft – schon längst der Vergangenheit anzugehören schien, hat die serbisch-nationalistischen Politiker nicht zu beunruhigen brauchen. Denn ihr Tun fand nach einer kurzen Welle der Empörung sogar stillschweigendes Verständnis in manchen Teilen der europäischen Öffentlichkeit. Was machte es da aus, wenn das sich entwickelnde System nach Meinung vieler Bosnier die Merkmale eines „neuen Faschismus“ besitzt, oder, wie serbische Oppositionelle vielleicht präziser anmerken, Züge eines neuen „Nationalsozialismus“ hat. Der Hinweis, es handele sich um ein an die totalitären Denkweisen der Vergangenheit anknüpfendes Regime, dem es gelungen sei, Teile der Bevölkerung zu willfährigen Werkzeugen zu degradieren, wurde nur in geringem Maße kritisch rezipiert. Die gesellschaftlich- politische Dimension des Krieges blieb ausgeblendet.

Wenn 50 Jahre nach Beendigung des Naziterrors auf Gedenkveranstaltungen lediglich die Repräsentanten der Opfer von damals einen Vergleich mit heute wagen, wirft dies ein Schlaglicht auch auf die Kinder und Enkel der deutschen Tätergeneration. Folgerichtig hat der Euphemismus „ethnische Säuberung“ Karriere gemacht, die Begriffe „Aggression“ und „Genozid“ wurden durch „Bürgerkrieg“ und „ethnischer Konflikt“ ersetzt.

Und dies geschah um so mehr, als mit dem Fortgang des Krieges die Kategorien der serbischen Extremisten von anderen übernommen wurden. Zuerst kopierte die Führung der westherzegowinischen Kroaten das Herrschaftssystem Karadžićs. Pseudodemokratische Strukturen sollten die Herrschaft einer terroristisch-nationalistischen Clique verbergen helfen. Angesichts der Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft und der Rückendeckung durch den Präsidenten Kroatiens fühlten sich die Mächtigen dort sogar ermuntert, im April 1993 gegen Restbosnien Krieg zu führen. Auch hier wurden die „Anderen“ zum Freiwild gemacht.

Dieser Krieg im Kriege ist von seiten der USA und Deutschlands nur mit großem Druck auf Kroatien beendet worden. Die zerschossenen und geteilten Städte Mostar, Gornji Vakuf und Vitez, die von Muslimen „gesäuberten“ Regionen Kiseljak, Busovaca, Capljina, Stolac, Westmostar zeugen von dieser kroatisch-westherzegowinischen Zerstörungswut.

Aber auch diejenigen, die sich auf die Seite der Angegriffenen stellten, versuchten, unangenehme Entwicklungen auszublenden. Zwar waren Legalität, Demokratie, Toleranz, anfänglich die Werte der Politiker in Restbosnien. Das Überleben zu sichern, die bosnische Gesellschaft zu verteidigen, ihren unverwechselbaren multikulturellen Charakter zu erhalten, das waren wohl auch anfänglich die Ziele der bosnischen Regierungstruppen. Mit dem Hungerwinter 1993/94 und dem Gefühl des Alleingelassenseins wucherte jedoch auch unter den Muslimen nationalistisches Gedankengut. Im Herbst 1993 wurde dann die kroatische Bevölkerung im zentralbosnischen Vares, in Kakanj, Travnik und Bugojno von muslimischen Extremisten vertrieben. Und seit Februar ist unter dem Präsidenten Izetbegović, der jetzt alle Macht auf sich konzentriert, das alle drei Nationen Bosniens vertretende Staatspräsidium als wichtigste demokratische Kontrollinstanz ausgeschaltet worden.

Da zudem angesichts der verzweifelten Lage der Menschen in den Enklaven die Versuchung wächst, verlorenes Territorium mit militärischen Mitteln zurückzuerobern, wird diese Tendenz nur noch verstärkt. Daß es dabei jedoch nicht mehr um die „Befreiung“ ganz Bosnien-Herzegowinas „vom Faschismus“ geht, wie noch kürzlich von Ministerpräsdenten Haris Silajdžić propagiert, sondern um die Vergrößerung des muslimisch dominierten Reststaates, ist angesichts der Position des Präsidenten anzunehmen.

Die von Karadžić propagierte Trennung der Bevölkerungsgruppen ist weitgehend vollzogen. Das ihm eigene totalitäre Staatsverständnis hat sich abgemildert auch bei seinen Gegnern durchgesetzt. Dazu beigetragen hat, daß die Kategorien nationalistisch-totalitären Denkens selbst bei den internationalen Verhandlungen hoffähig geworden sind. Schon seit geraumer Zeit wird lediglich über Gebiete und Grenzen geschachert, über Bevölkerungsaustausch und Umsiedlungen gesprochen, nicht aber über die Wiederherstellung des Völkerrechts. Kein Wort verliert man auch über die Bestrafung von Kriegsverbrechern.

Die Macht entscheidet, nicht das Recht – trotz des Großaufgebotes von UNO-Truppen. Seit dem serbisch-russischen Verteidigungsabkommen sind zudem Ost-West-Spannungen im Spiel. Unter diesen Vorzeichen geht der Krieg jetzt in die nächste Runde.

Um nicht mißverstanden zu werden: Die restbosnische Gesellschaft hat alles Recht, den Aggressoren zu widerstehen und sie, wenn möglich, militärisch zu besiegen. Paradoxerweise wird es ihr auf diesem Hintergrund – nämlich dem der neuen Ost-West-Spannungen und angesichts der nun vorherrschenden totalitär-nationalistischen Kategorien – irgendwann einmal sogar leichter als bisher fallen, einen tragfähigen Waffenstillstand zu erreichen.

So könnten die drei ethnisch definierten Zonen irgendwann einmal eine gemeinsame bosnisch- herzegowinische Föderation bilden, deren Teile wiederum die Möglichkeit haben, sich einerseits mit Kroatien und andererseits mit Serbien als Konföderationen zu verbinden. Es darf schon jetzt niemanden mehr überraschen, wenn eine solche „Friedensregelung“ bereits in Belgrad und Zagreb, in London, Paris, Moskau und Washington ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Aber was ist dies anderes als der Triumph des Denkens eines Karadžić? Erich Rathfelder

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