Bitte kein Mitleid, einfach akzeptieren: Grüße vom Planeten Vegan
Wer konsequent auf tierische Produkte in seiner Nahrung verzichtet, gilt schnell als freudloser Ökofundamentalist. Eine Widerrede.
Ich lebe vegan. Seit mittlerweile fast vier Jahren. Auf den Tag genau kann ich das nicht mehr zurückverfolgen. Ich habe mir das Datum nicht im Kalender notiert. Die Umstellung war mehr ein fließender Übergang als ein "Nie wieder will ich tierische Produkte essen!"-Moment.
Damals arbeitete ich neben der Uni in einem veganen Restaurant. An den meisten Abenden der Woche war mein Abendessen also ohnehin frei von tierischen Produkten. Irgendwann habe ich einfach angefangen, auch bei den restlichen Mahlzeiten auf alles Tierische zu verzichten. Ich begann Sojamilch statt normaler Milch zu trinken und mich in den Supermärkten nach veganen Nahrungsmitteln umzusehen. Dabei wurde schnell klar: Dort findet man fast nichts. Das komplette Kühlregal ist tabu, ebenso die Frischtheken. Was bleibt, ist die Gemüseabteilung, in der ich etwa 80 Prozent meiner Einkäufe erledige, sowie die Feinkostabteilung und das Konservenregal. Doch die machen auf Dauer nicht glücklich. Deswegen kaufe ich meine Grundnahrungsmittel mittlerweile beim Gemüsehändler und im Biosupermarkt. Dort geht es mir wie den meisten anderen Menschen in jedem anderen Geschäft: Die Auswahl ist so groß, dass ich nicht weiß, was ich nehmen soll. Gängelange Regale voller veganer Brotaufstriche, vier verschiedenen Sorten Sojamilch, Sojasahne, Sojajoghurt, Sojapudding in vier Geschmacksrichtungen, Sojagranulat, Tofusalami, Tofuterrine, Tofuwiener, Seitan-Schnitzel, Seitan-Gyros und Seitan-Nuggets, von Tempeh oder Lupino ganz zu schweigen. An Eiweis muss es also in keiner veganen Ernährung mangeln. An leckerem, abwechslungsreichem Essen auch nicht. Wer sich einmal Gedanken gemacht hat, wo er was bekommt und wie man es am besten zubereitet, hat nicht mehr das Gefühl, auf irgendetwas zu verzichten. Das Einzige, was sich wirklich nicht richtig ersetzen lässt, ist Käse. Es besteht also kein Grund, mich als Veganerin zu bemitleiden.
Doch das machen die meisten Menschen - insgeheim. Die unausgesprochene Frage "Was muss das arme Ding nur für ein kärgliches Leben führen?" steht vielen ins Gesicht geschrieben, wenn ich mal wieder erkläre, warum ich auf das Schweinskotelett oder die Sahnetorte verzichte. Andere äußern ihr Bedauern recht progressiv, so wie der Wirt eines französischen Restaurants, dem ich beim Geburtstagsessen einer Freundin erklären musste, warum ich weder Fleisch- noch Käsefondue mag. "Ein Leben ohne Fromage ist ein wie ein Leben ohne Liebe", sagte er und stampfte kopfschüttelnd davon. Ich glaube, meine rigorose Verweigerung hatte ihn in seiner patriotischen Ehre getroffen.
Nach Mitleid folgt bei den meisten Menschen Unverständnis. Manchmal reicht es so weit, dass man sich statt meiner lieber eine andere wünscht. Als mein Lebenspartner seiner Großmutter von den "absonderlichen Essgewohnheiten" seiner neuen Freundin erzählte, sagte diese: "Junge, du findest schon noch die Richtige" und tätschelte ihm beruhigend die Schulter.
Ganz so weit gehen die meisten anderen Leute nicht. Sie fragen einfach nur die unvermeidliche, immer wiederkehrende Frage: "Warum machst du denn das?" Ich bin selbst ein neugieriger Mensch. Dennoch geht mir die Frage in ihrer Frequenz auf die Nerven. Weshalb muss ich mich dauern erklären? Ich gebe zu, meine Ernährung entspricht nicht dem, was man gemeinhin als "normal" bezeichnet. Ich kann mich trotzdem nicht erinnern, jemals irgendwen gefragt zu haben, warum er eigentlich Fleisch ist.
Vielleicht mag ich die Frage auch deshalb nicht, weil ich keine klare Antwort geben kann. In meinem Fall gibt es viele Gründe, vegan zu essen und doch keinen, der für sich allein steht. Grund eins ist: Ich will mit meiner Ernährung nicht dazu beitragen, dass andere Lebewesen leiden. Und Tiere leiden, wenn man sie schlachtet. Punkt. Ganz egal, ob sie zuvor eingesperrt waren oder nicht. Nicht dass ich eine ausgeprägte Tierfreundin wäre.
Mir geht es dabei ums Karma. Irgendwie gefällt mir der naive Gedanke, dass im Leben alles mit allem zusammenhängt und dass meine Handlungen in irgendeiner Form zu mir zurückkommen. Sowohl das Gute als auch das Schlechte. Wenn dem so ist, so meine beruhigende Überlegung, muss ich einfach nur immer zu Gutes tun, dann wird auch für mich im Leben alles optimal verlaufen. Selbst wenn diese Rechnung nicht aufgeht, war ich dennoch ein guter Mensch.
Grund Nummer zwei: Mir geht es körperlich besser, wenn ich vegan esse. Vegane Ernährung ist leichte Kost mit viel Gemüse und ausschließlich "guten", nämlich "mehrfach ungesättigten" Fettsäuren. Veganes Essen ist vollständig cholesterinfrei und bleibt von Gammelfleischskandalen gänzlich unberührt. Selbst nach einem mehrgängigen veganen Menü habe ich mich noch nie so überfressen gefühlt, wie das schon ein einziges üppiges Fleisch- oder Käsegericht vermag. Außerdem bleibt man bei veganer Ernährung schlank. Es sei denn, man ernährt sich ausschließlich von Chips, Pommes und Zartbitterschokolade - alles durchaus vegan. Ich bin eitel genug, dass auch dieser Aspekt für mich ein unschätzbarer Vorteil ist.
Apropos Eitelkeit. Ich mag Mode. Und aus diesem Grund esse ich zwar vegan, trage aber dennoch Jacken, Taschen und Schuhe aus Leder. Einfach so, weil ich mir darin gefalle. Ich bin also nicht konsequent vegan, wenn man so will. Mein gutes Karma pflege ich im Kühlschrank und werfe es beim Shoppen über Bord. Ab und an habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, aber dann sage ich mir: Man muss es nicht übertreiben. Ja, auch ich denke so.
Leider gestehen mir die wenigsten Menschen diese Inkonsequenz zu. Jemand, der einen solch asketischen Eifer bei seiner Ernährung an den Tag legt, so das Argument, der muss diesen Eifer auch bis zum Äußersten durchhalten. Mir leuchtet diese Argumentation nicht ein. Warum erwartet man ausgerechnet von mir, dass ich alle einmal gefassten Beschlüsse ohne Makel und Schwäche durchhalte? Macht das denn sonst irgendwer? Gehe ich nicht schon viel weiter als alle anderen? Kann ich nicht selbst bestimmen, wo meine eigenen Grenzen liegen? Vielleicht verstört mein ambivalentes Verhalten vor allem deshalb, weil Veganismus auf viele Menschen wie ein unausgesprochenes Ausrufezeichen wirkt. Fast so, als würde mein Tofukonsum automatisch jede Gänsestopfleber und jeden Doppelrahmstufen-Joghurt mit dem Label "böse" versehen. Ambivalenz passt da nicht ins Konzept.
Die meisten Menschen in meinem Umfeld haben sich mittlerweile an mein veganes Dasein gewöhnt. Wenn ich zum Essen kommen, wird vegan gekocht oder das Fleisch extra gereicht. Trotzdem ist das gegenseitige Toleranzgefüge fragil. Ich werde akzeptiert, weil ich selbst die anderen akzeptiere. Würde ich beginnen, den Veganismus als Ultima Ratio zu predigen, hätte ich bald keine Freunde mehr - oder neue. Da ich aber nicht im geringsten dogmatisch bin, gibt es so gut wie keine Konflikte. Damit kann ich leben: Wer Toleranz verlangt, muss eben auch selbst tolerant sein. In meinem Kühlschrank dürfen also auch ohne weiteres Wurst und Käse lagern. Ich fühle mich nicht angegriffen, wenn jemand neben mir ein Schnitzel isst. Und wenn ich besonders zutraulich bin, brate ich meinem Freund morgens Rühreier mit Speck. Soll er doch essen, was er will. Schließlich ist jeder für seine eigene Karmabilanz verantwortlich. Er kocht dafür mittlerweile die beste vegane Lasagne der Welt.
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