Bischof Huber appelliert an Religionsfreiheit: "Ich habe nichts gegen Ethikunterricht"
Der Unterricht über Religionen müsse mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Religionsfreiheit vereinbar sein, sagt Bischof Wolfgang Huber im taz-Interview.
taz: Herr Huber, warum ist es eigentlich eine Aufgabe des Staates, an den Schulen konfessionsgebundenen Religionsunterricht anzubieten?
Wolfgang Huber: Weil Ethik und religiöse Werte wichtig sind. Das Wissen über Religionen ist auch notwendig, um Musik und bildende Kunst, Literatur und politische Kultur zu verstehen, die von Religion geprägt wurden.
Wir finden auch, dass die Schulen über Religion informieren sollten. Aber warum sollen das Angehörige der Religionen selbst machen, die ihre Glaubensinhalte im Unterricht für wahr erklären?
Der Unterricht über die Religionen muss mit der Religionsfreiheit vereinbar sein. Im Grundgesetz ist daher festgelegt, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Es darf nicht der Staat sein, der definiert, welche Inhalte der Religionen wichtig und vermittelnswert ist. Weil der Ethikunterricht auch religiöse Themen einschließt, ist es falsch, ihn für alle zur Pflicht zu machen. Richtiger ist es, die Wahl zwischen Religionsunterricht und Ethik zu ermöglichen.
Wenn "Pro Reli" Erfolg hat, werden christliche Lehrer über die muslimische Religion informieren und muslimische Lehrer über die christliche Religion. Ist das für Sie besser?
Sehr viel besser, als wenn der Staat dies vermittelt. Wenn ein Lehrer ein eigenes Verhältnis zum Glauben hat, ist bei ihm die Einfühlungskraft in eine andere Glaubensweise viel größer als bei einem Lehrer, dem der Glaube gleichgültig ist. Das wäre sonst wie bei einem Musiklehrer, der sagt: Ich spiele weder Klavier noch Geige, damit niemand merkt, welches Instrument mir lieber ist.
Und über die russische Außenpolitik sollte dann an den Schulen auch besser ein Vertreter der russischen Regierung informieren?
Der Vergleich ist irreführend. Für Religionen gilt die besondere Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit, die in Artikel 4 des Grundgesetzes festgelegt ist. Sie müssen sich selbst fragen, ob Sie das ernst nehmen oder ob Sie diesen Artikel streichen wollen.
Was haben Sie eigentlich gegen den Ethikunterricht?
Ich habe gar nichts gegen den Ethikunterricht. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die evangelische Kirche einen Ethik-Unterricht für Berlin vorgeschlagen. Aber nicht als verpflichtendes Fach für alle Schülerinnen und Schüler, wie es derzeit der Fall ist, sondern als gleichberechtigtes Fach neben dem Religionsunterricht.
In Berlin ist Ethik derzeit ein verpflichtendes und benotetes Unterrichtsfach. Religion kann zusätzlich gewählt werden. Jetzt fordern Sie die Gleichberechtigung der Fächer. In anderen Bundesländern ist Religion ein ordentliches Lehrfach, aber Ethik nicht. Warum starten Sie dort nicht auch dort Volksbegehren für die Gleichberechtigung von Ethik und Religion?
Sie irren sich. In den meisten Bundesländern ist auch der Ethikunterricht ordentliches Lehrfach. Es gibt kein Bundesland mehr, in dem es nicht die Möglichkeit gibt, Ethik oder Philosophie zu wählen, wenn man den Religionsunterricht abwählen will. Das hat sich durchgesetzt.
Ja, aber in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist der Religionsunterricht die Regel, und das Ersatzfach wird nicht überall angeboten. Noch mal: Wann starten Sie dort ein Volksbegehren für die Gleichstellung beider Fächer?
Gegendarstellung zum Interview mit Bischof Huber in der taz vom 11. 4. 2009, „Ich habe nichts gegen Ethikunterricht“.
Auf Ihre Frage: „Warum sollen Schüler nicht wie bisher Ethik haben und zusätzlich Religion wählen dürfen? Warum sehen Sie die beiden Fächer als Konkurrenz zueinander?“
antwortet Bischof Huber:
„Weil der Ethikunterricht beansprucht, auch Kenntnis über Religionen zu vermitteln. Und weil der Religionsunterricht auch eine ethische Orientierung vermittelt. Und die Konkurrenz sehe nicht nur ich: Bei der Parlamentsdebatte um die Einführung des Ethikunterrichts hieß es vonseiten der Linkspartei, Ziel sei auch, Schülerinnen und Schüler von ihrer Herkunftsreligion zu entfernen.“
Der Mann sagt die Unwahrheit: Kein Abgeordneter unserer Partei hat bei der Parlamentsdebatte um die Einführung des Ethikunterrichts so etwas gesagt. Das ist auch nicht unser politisches Ziel.
Berlin, den 17. 4. 2009
Klaus Lederer,
Vorsitzender DIE LINKE. Landesverband Berlin
Die Linke.Berlin hat Recht. Das Zitat lässt sich durch Protokolle der Parlamentsdebatten nicht belegen. Bei einem Pressehintergrundgespräch am 8. März 2005 hatte die damalige stellvertretende PDS-Fraktionsvorsitzende Carola Freundl vorgeschlagen, einen Werteunterricht als Pflichtfach einzuführen. Dabei äußerte sie, „es geht auch darum, die Herkunftsreligionen zu relativieren. Die Schüler müssen die anderen Kulturen kennen und verstehen lernen.“ Die Redaktion
Noch einmal: Ihr Vergleich ist falsch. In Nordrhein-Westfalen wird niemand gezwungen, Religionsunterricht zu belegen. Man kann sich davon abmelden, aber Schülerinnen und Schüler in Berlin können sich nicht vom Ethik-Unterricht abmelden. So hat es das Land Berlin vor zweieinhalb Jahren eingeführt; das gibt es sonst in keinem anderen Bundesland.
Warum sollen Schüler nicht wie bisher Ethik haben und zusätzlich Religion wählen dürfen? Warum sehen Sie die beiden Fächer als Konkurrenz zueinander?
Weil der Ethikunterricht beansprucht, auch Kenntnis über Religionen zu vermitteln. Und weil der Religionsunterricht auch eine ethische Orientierung vermittelt. Und die Konkurrenz sehe nicht nur ich: Bei der Parlamentsdebatte um die Einführung des Ethikunterrichts hieß es vonseiten der Linkspartei, Ziel sei auch, Schülerinnen und Schüler von ihrer Herkunftsreligion zu entfernen.
Warum sollen sich die Kinder verschiedener Religionszugehörigkeiten nicht in einem gemeinsamen Ethikunterricht über Werte unterhalten? Warum sollen sie dazu nach Religionen getrennt werden?
Am evangelischen Religionsunterricht nehmen keineswegs nur evangelische Schülerinnen und Schüler teil, sondern auch Muslime oder Atheisten. Unser Unterricht hat also eine erhebliche Integrationsbedeutung. Das ist inzwischen auch empirisch belegt. Zudem sieht der Volksentscheid vor, dass der Unterricht in Ethik sowie in den Religionen gemeinsame Unterrichtsphasen geben soll, damit die Schülerinnen und Schüler zusammen bestimmte Themen bearbeiten. Und schließlich verstehe ich die Fixierung auf den Ethikunterricht nicht. Schließlich hat die gesamte Schule eine Integrationsaufgabe, in allen Fächern.
Es gibt Schulen, die Kinder nach Religionszugehörigkeit in verschiedene Klassen stecken, um den Religionsunterricht organisatorisch besser in den Stundenplan zu bekommen.
Das ist mir nicht bekannt. Es wäre auch paradox und nicht mit dem staatlichen Auftrag der Schule zu vereinbaren. Auch an den evangelischen Schulen gibt es aus gutem Grund keine konfessionell homogenen Schulklassen.
Warum ist Ihnen wichtig, dass Religionsunterricht in Zukunft benotet wird?
Das ist den Schülerinnen und Schülern wichtig. Von ihnen höre ich immer wieder die Erwartung, dass ihre Anstrengungen in jedem Fach, also auch in Religion, respektiert und wertgeschätzt werden. Und das ist für sie nur dann der Fall, wenn es wie in allen anderen Fächern dafür auch eine Note gibt.
Wertschätzung gibt es nur mit einer Note?
Es mag eine politische Perspektive sein, dass man aus ideologischen Gründen keine Noten will. Aber die Perspektive von Schülerinnen und Schülern ist eine andere.
Wenn "Pro Reli" Erfolg hat, könnte Religion nur noch von LehrerInnen mit Staatsexamen unterrichtet werden. Es würde dann nur ausreichend evangelischen und katholischen Religionsunterricht geben, keinen muslimischen.
Nach meiner Überzeugung muss jeder Religionsunterricht den Anforderungen genügen, die auch für alle anderen Fächer gelten. Der Unterricht muss auf Deutsch stattfinden, auf einem hohen pädagogischen Niveau und mit Lehrern, die zu den Grundwerten unserer Verfassung stehen. Unsere evangelischen Lehrer erfüllen diese Voraussetzungen bereits. Und auch für den islamischen Unterricht sollten die gleichen Anforderungen gelten.
Was ist denn Ihre Kritik am islamischen Religionsunterricht?
Ich übe daran keine Kritik!
Sie sprechen davon, dass Lehrer nötig seien, die zur Verfassung stehen müssen.
Ich bewerte den islamischen Religionsunterricht nicht. Das ist nicht meine Aufgabe. Der Hinweis, dass es den jetzigen Lehrern des islamischen Religionsunterrichts an den formalen Voraussetzungen mangelt, stammt von Ihnen.
Es mangelt ihnen an einem Staatsexamen. Bisher bildet auch nur eine deutsche Universität Lehrer für islamischen Religionsunterricht aus.
Wir können ja jetzt die Frage nach der Henne und dem Ei diskutieren. Solange das Staatsexamen keine Pflicht ist, gibt es keine Nachfrage nach einer solchen Ausbildung an den deutschen Universitäten. Mit der Nachfrage wird auch ein universitäres Angebot entstehen. Mit dem selben Argument hätten Sie auch gegen den Ethik-Unterricht argumentieren können, denn auch dafür gab es keine Ausbildung, bevor das Fach eingerichtet wurde.
Nicht nur der Ethik-Unterricht, auch andere Fächer können junge Menschen vom Glauben abbringen. Kommt als Nächstes ein Volksbegehren für ein freies Wahlrecht zwischen Religions- und Biologieunterricht?
Das ist eine an den Haaren herbeigezogene Frage, und auch nicht die erste dieser Sorte. Zunächst einmal ist die Aufgabe des Religionsunterrichts nicht, Schülerinnen und Schüler zum Glauben zu führen, wie es in unseren Gemeinden geschieht. Sondern es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler sich eine eigene Position zu Glaubensinhalten bilden. Falls also ein Biologielehrer sagen sollte, weil heute die Evolutionstheorie gilt, sei der Schöpfungsglaube Unsinn - dann kann ein urteilsfähiger Schüler dieser Aussage gegebenenfalls Kontra geben. Denn beides ist miteinander vereinbar, und so wird es auch in unserem Religionsunterricht gelehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?