eulen aus athen (3) : Bis zur Schamgrenze … und weit darüber hinaus, ins Unbekannte
Heute: Sex sells, sogar Schlager.
Hot Pants scheinen in Mode zu kommen. Die Moldawierin Natalia Gordienko will Samstag einen für ihre Show anziehen, auch von Kate Ryan aus Belgien sind solche Überlegungen bekannt geworden. Silvia Night aus Island erwägt dies ebenfalls, von der Mazedonierin Elena Risteska zu schweigen.
Dieser Modestrom war zuletzt Anfang der Siebziger so populär, damals die ästhetische Brücke zwischen Minirock und Businessanzug. Beine zeigen, überhaupt nicht verhüllen, was nützlich ist. Und dies ist alles, was Aufmerksamkeit bündelt. Drei Minuten hat jede nur, und auf die kommt es an. Severina aus Kroatien lancierte gar einen „Sexskandal“, um in die Schlagzeilen zu kommen. Sie ist die Beste von allen: Bis in die Bild-Zeitung reichte der Erfolg ihrer Selbstpromotion.
In dieser Hinsicht überhaupt haben sich die Grand-Prix-Zeiten doch heftig gewandelt. Etwa jede Zweite, die am Samstag gewinnen will, wäre früher wegen unzüchtiger Kostümanmutung disqualifiziert worden. 1996 war es Gina G. („Oohm, Ah … Just A Little Bit“), die, für das Vereinigte Königreich startend, zu einer Art Grand-Prix-Burka fast gezwungen worden wäre. Ihr Jean-Paul-Gaultier-Fummel, mehrere tausend Pfund wert, bedeckte tatsächlich mit dem unteren Saum nur das Allernötigste. Das war schon eine Zäsur im Vergleich zu all den bodenlang-staatstragenden Abendkleidern der Sechziger und Siebziger.
Aber gerade die osteuropäischen Länder haben in puncto Freizügigkeit Standards gesetzt – möglicherweise eine Tugend, die als postsozialistische Schamarmut begriffen werden darf. Die Weißrussin Polina Smolova demonstriert dies eindrücklich: Lieber mehr als weniger Haut zeigen, lieber einen aufreizenden als einen unsichtbaren Körper. Das bringt Punkte, und auf die kommt es an.
Die Schuluniformen, die die Chormädchen des Briten Daz Simpson vorführen, sind vielleicht subtiler in ihrer erotischen Botschaft: Ich geh’ noch zur Schule und bin ganz Unschuld. Wie auch der rosa Tüll, den die Deutsche Ms Comerford trägt: eine Aura, in die sich fantasieren kann, wer findet, dass Geschenke nur dann schön sind, wenn man sie eingepackt vorfindet.
Einige von all diesen Frauen und Mädchen werden heute Abend im Semifinale (21 Uhr, NDR-Fernsehen) alles tun, um ins Finale zu kommen. Manche wird die Entblößung bereuen – wenn es nichts genützt hat. JAF