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Bis hin zu Prince: das Sterben will nicht aufhören. Ein paar Gedanken über das FriedhofswesenDieser Tage

Herbstzeitlos

von Martin Reichert

Zum gehobenen Tourismus gehört nun einmal das Aufsuchen bestimmter Grabstätten – und gemeint ist hier keineswegs die Massengrabinstitution Pyramiden. Nein, hundsgewöhnliche Gräber auf Friedhöfen sollst du aufsuchen, insbesondere wenn du Städte­reisen unternimmst, und zwar besonders in Frankreich.

Am Grab von Jim Morrison auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise war ich zum ersten Mal mit 16 Jahren – und heute hat man dort mobile Sicherheitsgitter angebracht, wie man sie von Großveranstaltungen wie „Schah-Besuch in Deutschland“ oder dem „BMW Berlin-Marathon“ kennt. Seit meinem sechzehnten Geburtstag ist der Grabtourismus dort wohl so angeschwollen, dass umliegende Ruhestätten Schaden genommen hatten, auch Trampelpfade und Herumstehkuhlen waren bei meinem letzten Besuch deutlich zu erkennen. Als ob es auf dem Père Lachaise keine anderen Celebrities zu besuchen gälte: Balzac, Bécaud, Bizet – und das ist nur eine Auswahl aus der Rubrik B des Prominentenregisters. Aber nein, wer hier wandelt, wird beständig von bekifften Jungmenschen nach dem Weg zum toten Singer-Songwriter gefragt. Am besten lässt man ihnen ohne weitere Diskussionen die GPS-Daten per Snapchat zukommen.

Als ich nun letzte Woche beruflich in Südfrankreich war, nämlich in Nizza, gelüstete es mich nach dem nächtlichen Besuch des In-&-Out-Queerfilmfestivals, dem Aufsuchen des Blumenmarkts und einem Spaziergang an der Promenade des Anglais nach einem Friedhof. Die nette Frau vom Tourismusbüro erbot sich, mich zum Cimetière de Caucade zu chauffieren, dem „russischen Friedhof“ Nizzas, nicht weit vom Flughafen gelegen. Dort ist das Grab von Magnus Hirschfeld, dem Sexualwissenschaftler und Mitbegründer der ersten deutschen Schwulenbewegung. 1935 war er in Nizza gestorben, nachdem er nicht mehr nach Berlin hatte zurückkehren können (schwul, Jude, Kommunist). Das Grab befindet sich in Feld 9, rechts abgehend von der Avenue des Floristes, und die nette Frau vom Tourismusbüro hat sich womöglich schon die Frage gestellt, was sie hier eigentlich zu suchen hat, an einem solch sonnigen Freitagvormittag, 20 Grad im Schatten.

Zum Abschied hatte ich ihr angeboten, dass ich sie zu jedem Grab ihrer Wahl in Berlin bringen könne, falls sie einmal in die deutsche Hauptstadt zu reisen beabsichtige. Und wenn sie partout keine Idee hätte, welches, dann hätte ich sogar eine Idee: Auf dem (Selbstmörder-)Friedhof Grunewald-Forst liegt ja Nico (Warhols It-Girl, erstes Supermodel, Bataclan 72) alias Christa Päffgen (mit 50 vom Fahrrad gefallen auf Ibiza). Ich war erst letzten Samstag dort, um mal nach dem Rechten zu schauen. Jemand hat dort zwar einen rosafarbenen Kopfhörer deponiert, aber frischer Blumenschmuck war nirgends zu sehen. Überhaupt waren mein Freund und ich die einzigen Besucher auf diesem „Gottesacker“, den man nur mit dem Bus erreicht, weshalb die meisten bekifften jungen Menschen es nicht bis hierher schaffen.

Aber vielleicht brauche ich auch einfach mal ein neues Hobby. Schließlich lebe ich ja hier.

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