Birte Müller Schwer mehrfach normal: Vom Wortmüll zur neuen Perspektive, Digga!
Regelmäßig tauchen in unserer Sprache neue Ausdrücke auf und so manchen finde ich durchaus brauchbar. Andere dagegen sind so bekloppt, dass ich nachvollziehen kann, dass für sie extra das Wort Sprachmüll erfunden wurde. Besonders lustig ist natürlich nach wie vor Jugendsprache. Ich benutze sie gerne, um unsere Tochter zu foppen – ganz hart crinch, ich weiß. Wenn ich allerdings zum Beispiel Radio höre, nerven mich Anglizismen wie Kids, Food oder Facilitys – und das nicht, weil sie unseren armen, einheimischen Wörtern den Lebensraum wegnehmen würden. Ich empfinde sie schlicht als anbiedernd und überflüssig.
Noch schlimmer sind Experten, die in Beiträgen ein unnützes Fremdwort ans andere reihen, sodass man dem Inhalt kaum noch folgen kann. In Gesprächen mit Ärzten und Psychologinnen ist mir das zum Beispiel aufgefallen. Alles ist so immanent, systemisch, intrinsisch und überhaupt kohärent, dass sich mir dabei der Verdacht aufdrängt, diese Art zu sprechen könnte intentional sein – also Absicht.
Ansonsten liegt es wohl an meiner Abstinenz (a)sozialer Medien, dass ich in manchen Bereichen kaum mitkomme mit dem Tempo, in dem neue Begriffe auftauchen, die politisch korrekt sind, um kurz darauf wieder diskriminierend zu sein. Und dann diese Abkürzungen, die sich oft schon wieder verändert haben, bevor ich sie verstanden, geschweige denn auswendig gelernt habe.
Sehr zu schätzen weiß ich dagegen das Wort queer: ein vergleichsweise offener Sammelbegriff gegen allgemeines Schubladendenken. Die Abkürzung LGBTQIA+ kann ich dagegen immer noch nicht ohne Spickzettel sagen. Und dann ist da noch FLINTA* (Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, nicht Binäre, Trans- und Agender-Personen), was aber nicht dieselbe Gruppe wie LGBTQIA+ beschreibt, weil (laut lgbt.fandom.com) „FLINTA* endo-cis-Heteras enthält und gleichzeitig nicht-Hetero-endo-Cis-Männer, darunter etwa Schwule und Bisexuelle, ausschließt“. Checkst du? Ich nicht!
Solche Selbstbezeichnungen sind doch eigentlich da, um Zusammenhalt zu erzeugen und uns aus der Sprachlosigkeit zu holen. Stattdessen verursachen sie oft wieder Ausgrenzung. Familienintern sind wir dazu übergegangen, unsere Tochter und ihr Gemenge queerer LGBTQIA+- FLINTA*-Freund_innen „schwule Mädchen“ zu nennen. Geht natürlich gar nicht, macht die Sache aber deutlich einfacher. Olivia ist glücklicherweise tolerant und verdreht nur die Augen.
In meiner eigenen Blase (also Bubble-mäßig, nicht von der Anatomie her) ist vor einigen Jahren das Lehnwort Care-Arbeit aufgetaucht. Das hat für mich einen echten Mehrwert, weil es nicht nur Pflege bezeichnet, sondern alles meint: vom Zubettbringen der eigenen Kinder bis hin zur privaten und beruflichen Pflege kranker, alter oder behinderter Menschen. Care-Arbeit (sei es bezahlte oder unbezahlte) ist nicht einfach ein neues Wort, sondern überhaupt erst die Anerkennung einer großen gesellschaftlichen Aufgabe (über deren Verteilung ernsthaft diskutiert werden muss).
Dagegen bieten viele der verkrampften Laber-Bezeichnungen rund ums Thema Behinderung aus meiner Sicht gar keinen Vorteil. Neulich wurde mein Sohn in einem Gespräch mit der Arbeitsagentur intellektuell beeinträchtigt genannt. Eine fast schon alberne Umschreibung (um nicht euphemistisch zu sagen) für einen 18-Jährigen, der währenddessen versuchte, das Wasser aus einer Blumenvase zu trinken. Solche Weichspülwörter werten die Leistung ab, die alle Beteiligten bei der Betreuung von Willi erbringen. Ich habe aber nichts dazu gesagt, ich wollte lieber schnell mit Willi nach Hause. Dort war der Ausdruck dann immerhin noch für einen Lacher gut, als Olivia trocken meinte: Intellektuell beeinträchtigt? Deine Mudda!
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