Biopic über Flugpionierin Amelia Earhart: Ein Triumph der US-Zahnmedizin
Amelia Earhart war die erste Frau, die über den Atlantik flog und von ihrem Mann wie ein Tennis-As vermarktet wurde. Mira Nair tut ihr mit dem Biopic "Amelia" keinen Gefallen
Zuletzt hat eine 16-Jährige die Welt umsegelt, ein 13-Jähriger hat den Mount Everest bestiegen, und sechs Männer haben sich in Moskau für 520 Tage in einem virtuellen Raumschiff zu einer Marsreisesimulation einschließen lassen: Der Wille des Menschen, sich auf der Jagd nach Rekorden gegen Angst und Elemente zu behaupten, scheint ungebrochen. Möglich, dass es also an der Zeit war, Amelia Earhart ein filmisches Denkmal zu setzen.
Earhart, 1897 in Kansas geboren, war 1932 nach Charles Lindbergh die erste Frau, die den Atlantik überflog, als "Aviatrix" wurde sie zur amerikanischen Nationalikone. Ihr Entdecker und späterer Ehemann George P. Putnam vermarktete sie wie ein Tennis-Ass: Es gab Earhart-Bücher, Earhart-Sportswear und vieles mehr. Im Jahr 1937 ist die Pilotin mit ihrer Lockheed Electra bei dem Versuch, den Globus zu umfliegen, verschollen. Experten vermuten, dass sie irgendwo zwischen Neuguinea und der Howlandinsel im Pazifik abgestürzt ist.
In "Amelia", gedreht von Mira Nair ("Monsoon Wedding"), wird Earhart von der bewährten Tomboy-Darstellerin Hilary Swank gespielt. Das passt, denn Earhart scheint genau das gewesen zu sein: eine burschikose Eigenbrötlerin, die George Putnam (Richard Gere) möglicherweise nur heiratete, weil der das Geld für ihr teures Hobby auftrieb. Die Ökonomien dieser vielleicht also sehr amerikanischen Ehe werden in "Amelia" aber nicht vertieft - so wie hier trotz 120 Minuten Spiellänge überhaupt alles an der Oberfläche bleibt: Dass Earhart mit Gene Vidal (Ewan McGregor), dem Leiter des Bureau of Air Commerce und Vater von Gore Vidal, die ersten Passagierfluggesellschaften gründete, interessiert Mira Nair nur am Rande, noch weniger das Detail, dass Earhart, als sie 1933 Eleanor Roosevelt zu einem Rundflug über Washington lud, mit der Präsidentengattin über gemeinsame lesbische Interessen geredet haben könnte.
Die New York Times lag ganz richtig, als sie im Oktober schrieb, statt eines Denkmals für Earhart sei "Amelia" vor allem "ein Zeugnis des Triumphs der amerikanischen Zahnmedizin". Unendlich lang werfen sich Hilary Swank und Richard Gere zwischendurch ihr strahlendes Lächeln zu, ein Lächeln von Menschen, die im Bewusstsein leben, Menschen der Zukunft zu sein. Wenn Mira Nair für die Faszination des Fliegens Bilder finden will, lässt sie Earharts Zähne aus dem Cockpit blenden, dazu senkt sich goldenes Sonnenlicht auf die Lederhaube der Pilotin. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein? Solcher Werbekitsch ist für eine Frau, die zu den frühen feministischen Role-Models gehört und mit dafür verantwortlich war, dass heute jeder Fluggast in zwölf Kilometern Höhe sein Chicken-Curry serviert bekommt, zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“