Bio-Obst: Avocado mit Verbrauchswerten
Großhändler Eosta veröffentlicht Daten über Klimabelastung durch Überseegemüse im Internet. Kritiker sind skeptisch: Weil Standards fehlten, sagten die Angaben wenig aus.
Werbesprüche ja, aber Sünden? Sie werden im Supermarkt nur selten offenbart. Bei Bioobst und -gemüse ändert sich das jetzt. Zum Beispiel: Avocado aus Mexiko, Marke Nature&More. Der Kunde findet auf dem Etikett einen dreistelligen Code: 440. Im Laden hilft ihm das zwar noch nichts - er kann die Zahl aber zuhause im Internet eingeben. Auf der Seite www.natureandmore.com erfährt er: Von der Plantage bis zum deutschen Supermarkt verursacht 1 Kilogramm dieser Avocados 127 Gramm Kohlendioxid, das den Klimawandel beschleunigt.
Das funktioniert so auch für Ökoäpfel aus Argentinien: Sie führt zu 162 Gramm Kohlendioxid. Oder für das Kilo Trauben aus Südafrika: Da sind es 180 Gramm. Dem Laien sagen diese Angaben vielleicht wenig - ein Vergleich macht es aber einfacher: Neuwagen stoßen auf 1 Kilometer im Schnitt 160 Gramm aus. Anders gesagt: Wer mit dem Fahrrad statt dem Auto zum Einkaufen fährt, macht den Klimaschaden der Avocados theoretisch wett.
Doch sind die Zahlen verlässlich? Derzeit ist umstritten, wie gut die Ökobilanz von Produkten aus der Ferne tatsächlich ist. Die Fakten: Hinter der neuen Produktinformation steckt der niederländische Großhändler Eosta, größter Importeur von Biofrüchten in Europa. Seine Zentrale ist in Waddinxveen bei Rotterdam. Knapp die Hälfte seiner Ware vertreibt er in Deutschland - bei Aldi, Plus und Lidl, aber auch bei Kaufland, Rewe oder Metro.
Der Großhändler hat die CO2-Bilanz selbst erstellt. "Intern", sagt Hugo Skoppek, der die Marke Nature&More betreut. Er hat den Transport von der Farm bis zum Hafen, die Reise mit dem Schiff nach Rotterdam und dann per Laster nach Deutschland kalkuliert. Obendrauf rechnet er noch den Energieaufwand für die Kühlkette. Fliegen lässt Eosta seine Obstkisten nicht. Im Flugzeug importiertes Obst würde die Klimabilanz besonders mies machen.
"Die Größenordnung stimmt", meint der Gießener Professor Elmar Schlich. Er sammelt schon seit Jahren Daten darüber, wie viele Treibhausgase Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln verursachen. Michael Blancke, Obstforscher von der Universität Bonn, macht das genauso. Er zeigt sich skeptischer: "CO2-Bilanzen sind kompliziert." Wer seriös rechnen wolle, müsse den Strommix vor Ort berücksichtigen. Je mehr Strom in einem Land aus Kohle gewonnen wird, umso mehr Kohlendioxid produziert zum Beispiel das Kühlhaus.
Das ist Eosta-Chef Volkert Engelsmann zu kompliziert. "Wir wollen dem Kunden keine Doktorarbeit unter die Nase reiben", sagt er. Er gibt zu, die CO2-Bilanz nicht bis ins Detail durchgerechnet zu haben. Seine Mitarbeiter hätten sich aber an Vorgaben des UN-Klimarates gehalten. So seien "gute Richtwerte" garantiert, die für "Transparenz" sorgten.
Warum sich die Angabe dann nicht auf der Verpackung findet? "Kein Platz", sagt Hugo Skoppek von Nature&More. Aber es gibt noch einen Grund: Ein Kollege von ihm erzählt, dass sich die Handelsketten gegen die Ausweisung der Klimasünden stemmen. Sie fürchteten die Stigmatisierung. Skoppek sieht das nicht. Er glaubt, er könne sich von anderen Obsthändlern abgrenzen, die weniger effizient arbeiten.
Nur: Bislang planen andere Händler keine vergleichbaren Label. Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft etwa sagt: "Bevor Ökobilanzen erstellt würden, muss es einen Standard geben." Sonst seien die Werte nicht vergleichbar. Gearbeitet wird daran derzeit aber nicht. Löwenstein hält den "CO2-Hype" ohnehin für einseitig: Er bevorzuge standardisierte Großbetriebe. Denn diese verschwenden oft weniger Energie als kleinbäuerliche Betriebe mit alten Geräten. Wer so rechne, warnt Löwenstein, "riskiert, dass der Obstbauer am Bodensee oder der Milchbauer im Allgäu aufgeben muss".
Es gebe gute Gründe für die Landwirtschaft in Europa, meint Nature&More-Mann Skoppek - "aber auch für die in Übersee". Wer Ökoavocados aus Mexiko kaufe, sorge dort für eine umweltschonendere Landwirtschaft und für faire Löhne. Wer den Code 440 auf Skoppeks Internetseite eingibt, erfährt nicht nur die CO2-Bilanz, sondern auch etwas über die Erzeuger, die Genossenschaft Pragor. Klar wird: Hinter der neuen Verbraucherinformation steckt doch ein Werbekonzept - Überseeware mit Lokalkolorit.
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