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Archiv-Artikel

Bin ich etwa tot?

Es heißt, „Multikulti“ ist gestorben. Hab ich da was verpasst?

VON DANKO RABRENOVIC

Ich wache auf, und überall heißt es: „Multikulti ist tot!“ Das kann nicht sein, mein Herz schlägt wie immer. Woher wollen die das wissen? Gab es eine empirische Studie, waren sie mit „Multikulti“ beim Arzt? Das klingt ja so, als hätte ich den Termin verpasst, an dem die Deadline für Integration abgelaufen ist. Ist „Multikulti“ damit gestorben? Ich dachte immer, Integration sei ein Ideal, und wir müssten alle etwas tun, diesem Ideal täglich näher zu kommen.

Der Totenschein für „Multikulti“ erscheint mir genauso paradox wie der Aufenthaltstitel, den mir die Ausländerbehörde vor ein paar Jahren in den Pass geknallt hat: „Fiktionsbescheinigung“. Weil mir einige Unterlagen für meinen lang ersehnten Titel „Niederlassungserlaubnis“ fehlten, durfte ich mich für 20 Euro zwei Wochen lang in eine Fiktion verwandeln.

16 Jahre hat es gedauert, bis ich endlich die Sicherheit bekommen habe, dass ich hier unbefristet bleiben und arbeiten kann. 16 Jahre lang musste ich mir die Forderungen einiger deutscher Politiker anhören: Einwanderer sollen Deutsch lernen, Arbeit finden, sich gesellschaftlich integrieren. Erst dann werden sie belohnt: mit der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder sogar mit einem deutschen Pass. Belohnt? Ich bin doch kein Hund, der von Herrchen ein Bonbon bekommt, wenn er den Ball zurückbringt.

Ich habe meine Hausaufgaben gemacht: Ich habe die schwierigste Sprache der Welt gelernt, ich habe deutsche Freunde, ich arbeite beim öffentlich-rechtlichen WDR, ich zahle meine Steuern. Das alles habe ich aber nicht gemacht, um als integrationstauglich zu gelten, sondern um mir das Leben leichter und schöner zu machen. Anstatt der versprochenen Belohnung bekam ich erst die Fiktionsbescheinigung, und jetzt haben sie mich auch noch für tot erklärt.

Ich stamme aus einer serbisch-kroatischen Ehe, meine Frau kommt aus Bosnien, unsere Tochter hat einen deutschen Pass. Ich wohne in Düsseldorf und arbeite in Köln und habe Freunde aus aller Welt. Ich kommuniziere täglich in zwei Sprachen. Und ich bin glücklich darüber, in zwei Kulturen zu Hause zu sein! Und dann kommt die Bundeskanzlerin meiner neuen Heimat und sagt zu mir: „Junge, du, dein Lebenskonzept und deine Weltanschauung – das funktioniert nicht. Du bist tot.“

Ich weiß, dass man mit der „Multikulti ist tot“-Aktion Politik macht, Stimmung erzeugt und sich auch um neue Wähler am rechten Rand kümmert – das gehört vielleicht zur Demokratie. Aber machen Sie das bitte nicht auf unsere Kosten und erzählen Sie keinen Unsinn. Multikulti ist in Deutschland lebendiger denn je, und das ist auch gut so. Das ist auch einer der Gründe, warum ich gern hier lebe.

Danko Rabrenovic, 41, ist der Balkanizer: Musiker & Radiomacher