piwik no script img

Bildungsstreik in BerlinSchlauer werden im Roten Rathaus

Psychologie-Studenten der HU halten im Roten Rathaus eine Lehrveranstaltung ab . Dann kommt die Polizei.

Streikende Studentin, die weiß, wo es lang geht Bild: AP

Der zweite Streiktag

Die Vollversammlung an der Freien Universität war mit rund 1.000 Teilnehmern war so gut besucht, wie seit Jahren nicht mehr. Trotzdem wurde sie spontan abgebrochen, um eine Besetzung des FU-Präsidiums zu unterstützen. Vor der Räumung amNachmittag sollen mehrere 100 Studenten beteiligt gewesen sein.

Ebenfalls Studenten der FU besetzten am Vormittag einen Hörsaal in der Silberlaube.

Eine Demonstration gegen den Bildungsstreik wurde nach Berichten von Studenten in ihr Gegenteil umfunktioniert: Streikende hätten die Streikbrecher-Demo mit übertriebenen Pro-Elite-Slogans gekapert.

Bereits am späten Montag blockierten Studenten die Alice-Salimon-Fachhochschule. Den Dienstag über liefen alternative Seminare.

Am Mittwoch beginnt die zentrale Demonstration des Bildungsstreiks um 11 Uhr vor dem Roten Rathaus.

Keiner weiß was. Die Frau am Empfang des Roten Rathauses hat keine Ahnung von einer studentischen Vorlesung: "Aber oben findet die Vorstellung der Ausbildungsberufe im öffentlichen Dienst statt", verweist sie auf eine andere Veranstaltung. Was sie nicht in ihrem Plan findet, ist die Studentengruppe im kleinen Foyer davor. Hier findet am Dienstagmittag im Rahmen des aktuellen Bildungsstreiks ein Psychologie-Seminar der Humboldt-Universität statt. Rund 80 Studenten sind mit Jaap Denissen, ihrem Professor für Entwicklungspsychologie, in Klaus Wowereits Amtssitz gekommen.

Der alternative Unterrichtsraum ist pompös: goldene Verzierungen an den Wänden, ein riesiger Kronleuchter direkt über einem roten Teppich. Einzig nachteilig ist die schlechte Akustik in dem sehr halligen Saal. Doch ein Megafon hilft und nach der Überprüfung der Anwesenheitsliste beginnt Vivian van den Brandt mit ihrem Referat.

Hinter der Aktion steht eine einfache Idee: Die existierenden öffentlichen Räume werden für die Lehre genutzt, während die Seminarräume an den Unis an Firmen untervermietet werden können, damit so ein wenig Geld in die knappe Unikasse kommen. "Die Räume können für Yogakurse oder als Taxizentrale genutzt werden", erklärt Linus Neumann, Ideengeber und Tutor des Seminars.

Sein Lösungsvorschlag für die ständige Finanznot stieß bei den Studierenden auf großes Interesse. "Wir haben darüber diskutiert, und es waren so ziemlich alle dafür", sagt Lea Maletzki. Die Psychologie-Studentin hält gerade ihr Referat, als nach einer dreiviertel Stunde der zuständige Rathaus-Mitarbeiter auf die Gruppe aufmerksam wird.

Mit Polizeischutz kehrt er zurück, doch die Studierenden bestehen darauf, dass hier keine Sitzblockade vorliegt, die man hätte anmelden müssen. "Es ist ein Seminar", erklärt Jaap Denissen dem Polizeibeamten. Zehn Minuten später, während die Seminargruppe schon wieder eifrig diskutiert, wird die Räumung angedroht. Es ist mittlerweile die dritte Störung des Unterrichts. Bei Unterbrechung Nummer vier überbringt Hans-Friedrich Müller, Sprecher der Senatskanzlei, dann doch eine Friedensbotschaft. Die Teilnehmer dürfen bis 13:30 Uhr bleiben. "Wir freuen uns über jeden geistigen Zuwachs", beschließt er seine Rede. "Der ist auch dringend nötig", kommentiert ein Student.

Doch die Veranstaltung ist jetzt exklusiv für die Anwesenden, die Türen zum Rathaus werden verschlossen. Davor wartet ein Dutzend Studenten, zu denen Vera Dobberkau gehört, die traurig ist, dass sie nicht reingelassen wird. Warum die Nachzügler nicht zu ihrer Veranstaltung dürfen, weiß einer der rund zehn Polizisten, die draußen die Stellung halten: "Dann kommen ja immer mehr".

Der Pförtner, der den verschlossenen Eingang bewacht, sagt zwei ratlosen Touristen, dass das Rathaus die ganze Woche aufgrund einer Messe gesperrt ist. Er ist jetzt bestens informiert. Und friedlich verlassen um halb zwei alle Seminarteilnehmer das Gebäude. ULRIKE DIMITZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • V
    vic

    Berlin, schon wieder Berlin.

    Wozu wählt man eine Rot-Rote Regierung, wenn eine Tiefschwarze dieselbe Politik praktiziert?