Bildungspolitik: CDU-Betonköpfe geraten unter Druck
Weil die Schülerzahlen sinken, diskutiert auch Niedersachsen eine Schulreform - allerdings auf kleinstmöglichem Nenner: Haupt- und Realschulen könnten zusammengefasst, die Gründung von Gesamtschulen erleichtert werden.
Die sinkenden Schülerzahlen bringen die niedersächsische Schulpolitik in Bedrängnis. "Es naht das Ende der Hauptschule", schrieb gestern die in solchen Dingen gewöhnlich gut unterrichtete Hannoversche Allgemeine Zeitung und skizzierte verschiedene Szenarien, wie Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) das Problem lösen könnte. Denn nach den Anforderungen des Schulgesetzes müssten wohl immer mehr Schulen dichtmachen - mangels Masse.
Eisern hielt die schwarz-gelbe Landesregierung bisher fest am dreigliedrigen System aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium. In vielen ländlichen Gebieten dürften die Schülerzahlen allerdings bald nicht mehr ausreichen. Man wolle "ehrlich, vorurteilsfrei und unideologisch über die zukünftige Ausgestaltung der Schullandschaft in Niedersachsen" sprechen, sagte der neu gewählte Ministerpräsident David McAllister (CDU). Und kündigte für August die Einsetzung einer Arbeitsgruppe an, die für "mehr Flexibilität bei der Entwicklung wohnortnaher Schulstrukturen" sorgen soll.
Besonders betroffen sind die Hauptschulen, die bei den Eltern zunehmend unbeliebt werden. Bereits jetzt arbeiteten über 67 aller Hauptschulen in Niedersachsen "unterhalb der Mindestzügigkeit", sagt die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frauke Heiligenstadt. Laut Schulgesetz muss eine Hauptschule mindestens zwei Klassenzüge haben. In seiner Verzweiflung erließ das Kultusministerium Ausnahmeregelungen, dass notfalls auch "Kombiklassen" gebildet werden könnten, in denen etwa Fünft- und Sechstklässler gemeinsam unterrichtet werden. "Teilweise kommen sie aber auch dann auf unter zwölf Schüler", sagt Heiligenstadt.
Zu den Befürwortern der Gesamtschule zählen in Niedersachsen SPD, Grüne und Linkspartei.
Ein "Volksbegehren für gute Schulen" wurde im November vergangenen Jahres initiiert.
Die Forderungen lauten: Wiedereinführung der Regelschulzeit von 13 Jahren an Gymnasien und Gesamtschulen und Herabsetzung der Mindestanforderung für Gesamtschulen auf vier, notfalls drei Klassen pro Jahrgang.
Ziel sind 608.731 Unterschriften bis zum 2. Dezember 2010.
Zu einer Sommertour startet das Volksbegehren vom 17. bis 26. Juli in den Landkreisen Stade, Winsen/Luhe, Lüneburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen.
In seiner Regierungserklärung von Anfang Juli hat sich der neue Ministerpräsident David McAllister (CDU) zur Gesamtschule nicht festgelegt.
Der FDP-Politiker Björn Försterling erklärte gestern, ein Kompromiss könne nicht "in der Maximalforderung ,Einheitsschule für Alle'" bestehen.
Ein Ausweg wäre, die Haupt- und Realschule nach schleswig-holsteinischem Modell zusammenzulegen. Bereits jetzt sind in Niedersachsen mehr als die Hälfte aller Hauptschulen mit Realschulen unter einem Dach in so genannten "Schulzentren" untergebracht. Ein gemeinsamer Unterricht wäre der nächste logische Schritt.
Aufweichung per Erlass
Doch auch für die Gymnasien könnte es auf dem Lande eng werden, wo bis zum Jahr 2020 mit einem Rückgang der Schülerzahlen von bis zu 40 Prozent gerechnet wird. Eine Lösung dafür könnten die kooperative Gesamtschule ohne Oberstufe sein, für die in Niedersachsen bisher die Mindestanforderung von vier Klassenzügen gilt - davon zwei gymnasial. Für die Oberstufe müssten die Schüler dann eben in die nächste Kreisstadt fahren, in der es noch ein richtiges Gymnasium gibt.
Per Erlass habe das Kultusministerium auch diese Schulform bereits aufgeweicht, sagt SPD-Bildungsexpertin Heiligenstadt. Sieht das Gesetz eigentlich vor, dass mindestens 50 Prozent des Unterrichts in getrennten Klassen stattfinden muss, sei es in Ausnahmefällen erlaubt, die fünfte bis zehnte Klasse durchgehend zusammen zu unterrichten - so lange zu wenig Schüler da sind.
In den Niederungen der niedersächsischen Realität nähert sich die kooperative Gesamtschule damit der integrierten Gesamtschule an, die für die Vorgänger-Regierung von Christian Wulff (CDU) lange ein rotes Tuch war. Dabei hätte Niedersachsen integrative Schulformen nötig. Einer Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zufolge, das an der Berliner Humboldt-Uni angesiedelt ist, gehört Niedersachsen zu den Bundesländern, in denen der Gymnasialbesuch bei gleicher Leistung am stärksten von der sozialen Herkunft abhängt. Es liegt nach Bayern und Baden-Württemberg auf Platz drei. Da die Leistungen zugleich nur durchschnittlich seien, sei Niedersachsen das "Bildungsrisikoland Nummer 1", sagt SPD-Politikerin Heiligenstadt.
Erst 2008 wurde das Verbot von Neugründungen aufgehoben, seitdem sind 32 neue integrierte Gesamtschulen gegründet worden. Wie die niedersächsische Schulbehörde gestern bekannt gab, sollen 18 weitere im kommenden Schuljahr eröffnet werden. Die Nachfrage überstiege das Angebot bei weitem.
Dabei hat die schwarz-gelbe Landesregierung gerade erst gegen den Willen der Schüler und Eltern das 12-jährige Abitur auch an den integrierten Gesamtschulen eingeführt, die Mindestanforderung für die Größe liegt bei fünf Klassenzügen. Landkreise und Städte fordern schon länger, diese Anforderung auf vier oder sogar drei Züge zu senken.
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