Bildungsaufsteiger und -absteiger: „Es geht meistens nach unten“

In Deutschland wechselten 2011 doppelt so viele Schüler auf eine niedrigere Schulform als umgekehrt. Eine Studie fand bundesweit große Unterschiede.

Mehr Schüler wechseln hierher als weg: Hauptschule in NRW. Bild: dpa

BERLIN taz | Einen Sommer lang Latein und Mathe pauken, statt baden zu fahren – das war der Preis, den Lukas für den Wechsel von der Realschule aufs Gymnasium zahlen musste. Der 16-jährige Oberbayer gehört damit zu den 23.000 Schülern und Schülerinnen der Sekundarstufe I, denen im Schuljahr 2010/2011 der Wechsel auf eine höhere Schule gelungen ist.

Demgegenüber stehen 50.000 Absteiger, sogenannte Abgeschulte. „Der Fahrstuhl geht meistens nach unten“, erklärte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, bei der Vorstellung einer neuen Studie der Stiftung am Dienstag.

Die Studie interpretiert Daten des Statistischen Bundesamts vor dem Hintergrund von Schulsystemen und rechtlichen Regelungen des Übergangs. Heraus kam: Die Struktur des Schulsystems lässt nur bedingt auf dessen Durchlässigkeit schließen.

In der Gruppe mit mehrgliedrigem Schulsystem gibt es Länder mit wenigen Schulwechslern wie Baden-Württemberg (1,3 Prozent) – oder mit vielen wie Bayern (4,3 Prozent). Die Wechselquoten in den Ländern mit zweigliedrigem System variieren zwischen 2,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 1,6 Prozent in Sachsen. Die meisten Schulwechsel hat Bremen mit 6,1 Prozent, dort wird das Schulsystem gerade umgebaut.

Auch bei der Art der Schulwechsel unterscheiden sich die Bundesländer. Gabriele Bellenberg, Autorin der Studie, erklärte dies unter anderem mit der Selektierung zu Beginn der Sekundarstufe. In Bayern, dem einzigen Bundesland, in dem mehr Schüler auf- als absteigen, kommen 25 Prozent der GrundschülerInnen auf die Hauptschule. Der Zugang zum Gymnasium ist streng an einen Notendurchschnitt von 2,33 gebunden.

Abstieg als persönliches Scheitern

In Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen hingegen geht nur ein Zehntel jedes Jahrgangs gleich auf die Hauptschule. Die lockere Übergangspraxis bewirkt offenbar mehr Fälle von Abschulung. In Niedersachsen etwa gibt es zehnmal so viele Ab- wie Aufsteiger, am Ende machen sie ein Drittel der Hauptschüler aus. Viele sind dann demotiviert, den Abstieg interpretieren sie als persönliches Scheitern.

Jörg Dräger kritisiert, dass die Hauptschulen zum Auffangbecken der Absteiger verkommen: eine „Vermeidungsschule“, auf die niemand gern gehe. Lehrer würden Problemschüler nicht versetzen oder mitunter raten, abzugehen. Dräger plädiert für individuelle Förderung: Wenn Lehrer besser weitergebildet würden und es gute Ganztagsschulen gäbe, würden Abschulungen und Klassenwiederholungen überflüssig. „Gute Schule ist guter Unterricht. Die Schulstruktur ist nachrangig.“

Auch Gabriele Bellenberg findet, dass kein Bundesland als klarer Sieger aus der Studie hervorgeht. Im Osten sei die Durchlässigkeit in die Oberstufe der Gymnasien sehr eingeschränkt, in Bayern sei der Schulwechsel meist mit dem Wiederholen einer Klassenstufe verbunden.

Auch Lukas musste die siebte Klasse wiederholen. Schuld waren nicht etwa schlechte Ergebnisse bei der Aufnahmeprüfung, sondern fehlende Lateinkenntnisse. „In den Sommerferien gleich zwei Jahre Latein nachholen, das wäre nicht gegangen“, sagt er. Beim Wechsel hätten ihn Lehrer von Realschule und Gymnasium unterstützt. Da ein Wechsel in der siebten Klasse eher unüblich ist, mussten sogar neue Regeln gefunden werden. Auch wenn der Aufstieg aufs Gymnasium mit viel Arbeit verbunden war, meint Lukas: „Ich würde es immer wieder machen. Auf dem direkten Weg zum Abi zu kommen ist doch viel besser.“

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