Bildung: Schulpflicht gilt auch für christliche Fundis
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat eine Befreiung für ein Baptistenkind abgelehnt. Dessen Eltern hatten keine kritische Erziehung gewünscht.
FREIBURG taz Auch für Kinder von fundamentalistischen Christen gilt die Schulpflicht. Dies entschied gestern das Verwaltungsgericht Stuttgart. Die Ablehnung des staatlichen Schulsystems aus religiösen Gründen ermögliche keine Befreiung von der Pflicht zum Schulbesuch.
Geklagt hatte ein Elternpaar aus Windischenbach (Baden-Württemberg), das seine jüngste Tochter nicht in die staatliche Grundschule schickte. Die inzwischen elfjährige Irene wurde zunächst zu Hause unterrichtet, dann mit acht anderen Kindern in der selbst organisierten "Christlichen Grund- und Hauptschule Windischenbach". Die Eltern kamen als Spätaussiedler aus Russland und gehören zu den Evangeliums-Christen/Baptisten.
Die staatliche Schule lehnen sie ab, weil Kinder dort verfrüht sexuell aufgeklärt und zum Hinterfragen von Autoritäten erzogen würden. Es werde nur die Liebe zu den Menschen, nicht die zu Gott gelehrt. Statt vor Zauberei zu warnen, würden Märchen mit Hexen gelesen. Die Behörden lehnten eine Befreiung von der Schulpflicht ab, verhängten gegen die Eltern bisher aber nur einmal ein Bußgeld. Gestern bestätigte das Gericht, dass es in diesem Fall keine Ausnahme von der Schulpflicht geben könne.
"Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren", erklärte Richter Frieder Klein zur Begründung. Die Konfrontation mit einer pluralistischen Gesellschaft, die zunehmend weltlich geprägt sei, könne dem Kind und seinen Eltern zugemutet werden. Es spreche sogar gerade für die Schulpflicht, dass die Eltern ein Erziehungskonzept vertreten, bei dem die Selbstverantwortlichkeit des Kindes abgelehnt wird, so Richter Klein.
Die Schulpflicht werde auch nicht durch den Besuch der ungenehmigten Christlichen Grund- und Hauptschule erfüllt. Denn das pädagogische und fachliche Niveau der Lehrenden an dieser informellen Privatschule genüge nicht den Anforderungen. So werde Erdkunde, Gemeinschaftskunde und Geschichte von einer Behördenassistentin für Umweltschutz und Landschaftspflege gelehrt. Das Gericht forderte "zumindest eine klar auf das jeweilige Unterrichtsfach bezogene weiterführende Ausbildung".
Aktenzeichen: 10 K 146/05
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau