Bildung: Neue Schule kommt ganz gut an
Die Anmeldezahlen an den Schulen, die ab dem nächsten Schuljahr Gemeinschaftsschulen werden, sind sehr unterschiedlich. Kein Grund zur Sorge, wie Befürworter der neuen Schulform meinen.
Mit gemischten Gefühlen reagieren Eltern auf die neue Schulform Gemeinschaftsschule. Das zeigen die Anmeldezahlen der an dem Modellprojekt teilnehmenden Schulen. Der große Run auf die neue Schulform blieb dabei ebenso aus wie die große Ablehnung. Gewinner und Verlierer gibt es dennoch.
Zu Ersteren gehört das Vorzeigeprojekt Campus Rütli. Die einst in Verruf geratene Nordneuköllner Rütli-Hauptschule schließt sich dabei mit der benachbarten Heinrich-Heine-Realschule und der Franz-Schubert-Grundschule zu einem Verbund zusammen. Dem sollen noch viele andere Angebote aus der Jugend- und Familienbildung und -hilfe beigesellt werden. Zwei Stiftungen flankieren die vom Senat ausgegebenen Projektmittel mit weiterer finanzieller Unterstützung. Prompt stiegen die Anmeldezahlen für die siebten Klassen des Schuljahres 2008/09 um knapp 30 Prozent: Während im letzten Schuljahr nur 53 Anmeldungen für die Real- und 15 für die Hauptschule kamen, hat der Campus Rütli 88 Neuanmeldungen für das kommende Schuljahr zu verzeichnen.
Zu ähnlichem Erfolg führte die Beteiligung am Gemeinschaftsschulprojekt bei der Treptower Sophie-Brahe-Realschule: 30 Prozent mehr Anmeldungen bedeuten, dass die mit einer nahen Grundschule kooperierende Oberschule eine siebte Klasse mehr eröffnen kann.
Ein Osttrend ist das aber nicht: Die ebenfalls in Treptow-Köpenick gelegene Anna-Seghers-Oberschule hat ebenso wie die Lichtenberger Herbert-Gmeiner-Grundschule keine Steigerung der Anmeldezahlen zu verzeichnen. Auch im Westbezirk Neukölln bleibt der Erfolg der Gemeinschaftsschule auf das Projekt Campus Rütli beschränkt: Die Fritz-Karsen-Schule in Britz verzeichnet keinen Zuwachs ihrer Anmeldezahlen - die allerdings wie immer hoch sind: Zirka 200 Anmeldungen kommen bei der Gesamtschule jährlich auf 100 Plätze.
Die finanzstarke Unterstützung für den Campus Rütli könnte ein Grund für den Erfolg des Projekts sein, vermutet Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Außerdem bedeute der Umbau der problembelasteten Schule "einen Hoffnungsschimmer für die Eltern" im Kiez. Die Hoffnung allein genügt aber wohl nicht: In anderen schwierigen Kiezen konnte die Gemeinschaftsschule die Eltern nicht überzeugen. Die Moses-Mendelssohn-Oberschule im südlichen Mitte verzeichnet keine Zunahme von Anmeldungen. Und bei der im Falkenhagener Feld gelegenen B.-Traven-Oberschule sank die Zahl der Anmeldungen sogar um fast 40 Prozent. Schulleiter Harald Kuhn führt das unter anderem auf das zögernde Verhalten des Bezirks zurück: "Wir haben sehr lange auf die Genehmigung für die Teilnahme am Modellprojekt Gemeinschaftsschule warten müssen. Das hat die Eltern verunsichert." Trotzdem hätten sich viele gerade deshalb an seiner Schule angemeldet, weil sie Gemeinschaftsschule werde. Kuhn ist deshalb optimistisch: "Wir haben eine fast 100-prozentige Unterstützung im Lehrerkollegium wie bei den Eltern." In zwei Jahren werde man die Frage nach Erfolg oder Scheitern neu stellen können.
Ein Jubelchor sei bei den Eltern jedenfalls nicht ausgebrochen, resümiert Bildungspolitikerin Senftleben. Steffen Zillich, der bildungspolitische Sprecher der Linken, sieht aber auch keinen Misserfolg. Vor dem Hintergrund allgemein sinkender Schülerzahlen seien die Anmeldezahlen nicht schlecht. Der Erfolg der in Prenzlauer Berg neu gegründeten Gemeinschaftsschule, die zwei Bewerber pro Platz zu verzeichnen habe, zeige außerdem, so Zillich, dass auch eine "gymnasial interessierte Klientel" für die Gemeinschaftsschule zu gewinnen sei: "An mangelndem Interesse der Eltern scheitert die neue Schulform jedenfalls nicht."
Ulla Widmer-Rockstroh gehört zu den zwei Lehrerinnen in dem Kompetenzteam, das Schulen bei der Umgestaltung zur Gemeinschaftsschule berät. Sie beurteilt die Lage optimistisch, "auch wenn die Begeisterung vielleicht nicht so groß ist, wie wir sie uns wünschen". Dass viele Eltern noch zurückhaltend sind, versteht sie: "Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, wie kontrovers über die Gemeinschaftsschule debattiert wurde."
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