Bildung – Bayerns ungerechter Erfolg : KOMMENTAR VON CHRISTIAN FÜLLER
Schon vor der Veröffentlichung des neuen Pisa-Ländervergleichs raunte man es sich in Forscherkreisen zu: Bald werde ein Ministerpräsident vor Stolz kaum mehr laufen können – Edmund Stoiber. Tatsächlich kann Bayerns Regierungschef für sich beanspruchen, das Vorzeigeland in Wissen und Lernen zu regieren. Seine 15-Jährigen führen erneut die Pisa-Bundesligatabelle an, ja, sie kommen an die Weltspitze der Bildungsnationen heran. Bildungspolitisch ist das zweifellos ein großer Erfolg. Man sollte sich hüten, den Bayern Verfälschung der Daten vorzuhalten. Nur muss man betrachten dürfen, mit welchen bürgerrechtlichen und industriepolitischen Ansprüchen der weiß-blaue Pisa-Champion arbeitet. Und die sind fragwürdig.
Wieso hätschelt Edmund Stoiber stets seine 30 Prozent (inklusive zweitem Bildungsweg) Gymnasiasten? Weil er von der Kehrseite lieber schweigen will – dass der Freistaat nämlich 70 Prozent seiner Landeskinder verwehrt, Abitur und Hochschulabschluss anzustreben. Das ist ein demokratisches Defizit, jedenfalls für alle, die gleiche Bildungschancen als Menschenrecht ansehen. Oder ist es hinnehmbar, dass der Filius eines Arztes eine sechsmal höhere Chance hat, ein bayerisches Gymnasium zu besuchen, als der Sohn eines Bauarbeiters – trotz gleicher schulischer Leistungen?
Die schmale Abiturquote ist obendrein für ein Hightech-Land wie Bayern nicht zukunftsfähig. Es stimmt, dass Bayerns Hauptschüler die besten Deutschlands sind, und dass sie, anders als im Norden und in den Stadtstaaten, nicht zwangsläufig das Lumpenproletariat darstellen. Doch in den wissensbasierten neuen Ökonomien Bayerns, in der Biotechnologie und der Genforschung, den Materialwissenschaften oder der fortgeschrittenen Medizin bekommen sie keine Jobs. Die gehen an Zugewanderte aus anderen Bundesländern, weil für eine Stelle als Technische Assistentin in den Biolaboren oder als Hilfsforscher bei Siemens beim besten Willen ein berufsqualifizierender Abschluss nicht reicht.
Es wird Zeit, dass die Eingeborenen bayerischer Hightech-Regionen die gleichen Rechte für ihre Kinder einklagen. Denn Bayerns Bildungspolitik ist sehr erfolgreich – und sehr ungerecht.