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Archiv-Artikel

„Bilder als Waffe“

Mathias Jud und Christoph Wachter sammeln und verknüpfen Bilder und Daten von militärischen Sperrgebieten. In der NGBK ist ihr Projekt zu sehen

INTERVIEW VERA TOLLMANN

taz: Sie stellen ihr Rechercheprojekt Zone*Interdite in der NGBK aus. Worum geht es?

Christoph Wachter: Wir sammeln seit acht Jahren Weblinks und Bilder zu bestimmten militärischen Zonen wie Kasernen, Militärflughäfen oder -gefängnissen in der ganzen Welt. Militärische Zonen deshalb, weil es uns dabei um die Wahrnehmungsprozesse geht, die von uns durch eine aktive Ausblendung vollzogen werden. Zone*Interdite setzen wir ein als Mittel, um nicht zu sagen Waffe, um unsere Wahrnehmung zu untersuchen. Dabei stellen wir ganz klare Spielregeln auf: Wir wollen nicht spionieren, nur veröffentlichte Bilder sammeln. Sehr oft sind es die gleichen Bilder, die als Aufklärungs- und als Propagandamaterial verwendet werden. Wir gucken uns die Bilder an und fragen: Freund oder Feind? Eine politische Arbeit ist es aber nicht, weil es keine politische Zielsetzung gibt.

Mathias Jud: Zone*Interdite ist wie ein Metaportal.

Geben Sie ein Bildbeispiel.

Wachter: Auf offiziellen französischen Landkarten zum Beispiel ist signifikant, dass man genau sieht, wo die Militärstützpunkte um Paris liegen, weil sie als weiße Flächen eingezeichnet sind. Bei Google wird zensiert, indem aktuelle Bilder, die schon online waren, mit alten Bildern überlagert werden, sodass die militärischen Stützpunkte wieder verschwinden.

Wie kommt man dazu, so ein Mammutprojekt zu betreiben?

Wachter: Ich komme von der Malerei her, und einen Maler zieht es an, wenn auf einem Schild vor einem Militärgelände steht: „Fotografieren und Zeichnen verboten“. Uns interessiert der Widerspruch, dass von Orten, von denen per Gesetz keine Bilder gemacht werden sollen, trotzdem Bilder kursieren. 2000 haben wir mit einem Zettelkasten angefangen.

Jud: Dann kam der Webboom. Mittlerweile ist Zone*Interdite ein Community-Projekt. Deswegen hat sich so viel Material angesammelt, sodass sich die 3D-Walkthroughs ergaben.

Wer interessiert sich für solche 3D-Visualisierungen?

Wachter: Ein Mitarbeiter des UN-Sicherheitsrats nahm Kontakt auf, als unsere Website wegen Serverproblemen offline war. Er meldete sich, weil er die Seite bei der Untersuchung des Darfur-Konflikts als Ressource nutzte.

Sind diese 3D-Visualisierungen zum Teil fiktiv?

Jud: Wenn man sich durch die visualisierten Räume bewegt, bekommt man die Referenzen zu dem Material dokumentiert, das gefunden wurde. Nicht alles ist gleich detailliert ausgearbeitet, es gibt sehr grobe Klötze und detaillierte Räume.

Wie habt Sie recherchiert?

Jud: Zuerst muss man in das Thema eintauchen, sucht und sucht, dann sprudelt es. Wir haben zum Beispiel über militärische Kürzel gesucht, sobald wir sie fanden. So kamen wir an den Großteil der Informationen über Guantanámo.

Sind Sie schon einmal aufgefordert worden, Bilder vom Netz zu nehmen?

Jud: Nein, das ist noch nicht passiert. Aber oft gestalten die entsprechenden Institutionen ihre Homepages komplett um.

Wachter: Die Geheimhaltungsstrategien werden oft geändert, daher kommt auch die Dichte an Material, die wir haben. Zum Beispiel war es in Guantánamo erst verboten, zwei Türme auf einem Bild abzubilden, dann war es verboten, die Küstenlinie zu zeigen. Oder Journalisten machten Fotos bei Pressetouren, jeder knipste leicht in eine andere Richtung. Irgendwann lassen sich die Bilder zusammenpuzzeln.

Wie entstand Ihr Interesse am Flugverkehr?

Wachter: Besonders interessiert hat uns die Überlagerung des Zivilen durch das Militärische hinsichtlich des Flugverkehrs aus drei Gründen: Zuerst war es Schäuble, der im Grundgesetz verankern wollte, dass durch Terroristen entführte Passagierflugzeuge abgeschossen werden dürfen. Das zweite waren die so genannten Rendition flights, die von der Clinton-Regierung eingeführt wurden. Das sind Transporte mit Zivilmaschinen, in denen ein Gefangener in einen anderen Staat überführt wird. Der dritte Grund ist die militärische Nutzung von zivilen Flughäfen, wie etwa in Leipzig/Halle.

Gibt es diese Doppelnutzung auch an anderen Orten?

Wachter: Zum Beispiel der Flughafen Bangor im Bundesstaat Maine in den USA ist ein ziviler Flughafen mit militärischer Nutzung. Wir haben versucht, die Flugrouten amerikanischer Soldaten in den Irak zu rekonstruieren. Dafür benutzen wir Bilder von Flugzeugspottern und sogenannte ACARS, ein Datenfunksystem von Flugzeugen, das die Funk-Community in ein Textformat decodiert. Wir zeigen auf der Karte, wo sich die Flugzeuge – militärische und zivile – gerade befinden. Bei einem Soldat konnten wir die Strecke von Fort Bliss in Texas über Leipzig nach Kuwait finden. Erst von dort aus fliegt er in einer Militärmaschine nach Mossul im Irak.

Wie finde ich als Nutzer die Verbindung, die Sie gerade gezogen haben? Oder ist das ein Wissen, das nur Sie haben?

Wachter: Es soll ein Netzwerk sein, an das sich auch andere Blogger hängen.

Jud: Bei unserer Website geht es in erster Linie um Verortung. Es gibt aber auch unsere Vorträge, Bildcollagen und Flugzeugtracking-Projekte, bei denen wir die Informationen analysieren.

Ist Zone*Interdite inzwischen eine politische Arbeit?

Jud: Zone*Interdite ist kein politisches Projekt. Die Betrachtenden finden vielleicht neue Einsichten, doch damit werden sie allein gelassen. Niemand bewertet, was richtig oder falsch ist. Geht es aber um unsere Wahrnehmungsprozesse, dann ist das eine sehr brisante Arbeit – und hochpolitisch.

Zone*Interdite ist Teil der Ausstellung „Der Blinde Fleck“. Bis 19. Oktober in der NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg