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Bildende KunstGründe des Vergessens

Mehr als ein Jahrzehnt war Emil Cimiotti ein Star. Dann aber traf ihn wie das Informel der Bannstrahl des Vergessens: Zum 85. Geburtstag zeigt das Bremer Marcks Haus einen Überblick über sein Werk.

Blick in die Ausstellung: Cimiottis Spezialität ist die Plastik der Horizontale. Bild: Marcks-Haus / Ingo Wagner

BREMEN taz | Die Frage ist, warum Emil Cimiotti keiner mehr kennt. Denn er war ja damals ein gefeierter Künstler gewesen, mehr als ein Jahrzehnt. Ganz folgerichtig wird ihm dann an der neuen Kunsthochschule Braunschweig eine Professur angetragen. Er sagt zu, sucht sich ein Atelier in Wolfenbüttel – und wird vergessen. Seit Mitte der 1970er – in Mannheim gab’s zum 50. eine umfassende Retrospektive – bis ins neue Jahrtausend finden große institutionelle Ausstellungen eigentlich nur noch ohne Cimiotti statt. Aktuell ist sogar sein Blätterbrunnen Am Kröpcke in Hannover futsch. Nur warum? Er hat doch niemandem was getan?!

Der Brunnen, das liegt nur am Umbau, der kommt schon wieder. Aber sonst? Auch die Ausstellung „Den Raum ganz anders besetzen“ im Bremer Gerhard Marcks Haus gibt auf die Frage keine Antwort. Sie kann nur einen – sehr guten – Einblick ins bisherige Lebenswerk des niedersächsischen Bildhauers vermitteln. Und sie deutet dabei auch an, wie sich das Tilgen Cimiottis aus der öffentlichen Wahrnehmung auf seine Arbeiten ausgewirkt hat, selbst wenn er diesbezüglich nicht zu Unrecht sagt: „Ich habe mich nicht angepasst.“

Aber das alleine reicht ja wohl nicht zur Erklärung dafür, dass er so vergessen ist, obwohl er noch lebt, und obwohl er sich, kurz vorm 85. Geburtstag, bester Gesundheit erfreut. Seine aktuellen Arbeiten strahlen eine schwebende Leichtigkeit aus und meisterliche Gelassenheit. Und nicht nur, weil der Meister sie mittlerweile auf Stahl-Stelen baut.

Dieses fast restlose Vergessen beunruhigt gerade, weil es sich, vor 50 Jahren, schon für immer ausgeschlossen zu haben schien: Damals, als der Mann aus Göttingen ein plötzlich aufgegangener Stern war. Zwar, er selbst erinnert sich daran, dass seine ersten Ausstellungen „von der Kritik verrissen“ wurden. Aber Zeitungsschreiber haben eigentlich nie groß Ahnung.

Emil Cimiotti

am 19. August 1927 in Göttingen geboren, macht dort nach der Kriegsgefangenschaft ab 1946 eine Steinmetzlehre, studiert dann in Stuttgart bei Otto Baum, dann bei Karl Hartung in Berlin, der ihn nach zwei Monaten rauswirft, und bei Ossip Zadkine in Paris.

Erste Arbeiten in Bronze entstehen ab 1955, zur Biennale di Venezia wird er 1958 und 1960 eingeladen, zur documenta 1959, 1964 und 1968.

In Braunschweig gehört Cimiotti 1963 zu den Gründungsprofessoren der Staatlichen Hochschule für bildende Künste, sein Atelier verlagert er damals von Aich bei Stuttgart nach Wolfenbüttel, wo er seither lebt und arbeitet.

Die Bremer Ausstellung ist die erste große Cimiotti-Einzelschau seit der Retrospektive zum 80. Geburtstag, die das Sprengelmuseum Hannover 2007, exakt 30 Jahre nach der in der Kunsthalle Mannheim, ausgerichtet hatte.

Die Fachwelt: entzückt

Und die Fachwelt damals, die war entzückt – die Sammler, die Galeristen, die Jurys und auch die Kollegen: An der Kunsthochschule in Stuttgart weigerte sich sein Prof, Cimiotti Korrekturen zu geben – weil der ihm zu genial war. Dafür kam Willi Baumeister, der große Willi Baumeister – aber kennt den eigentlich noch wer?! Der kam jedenfalls und schaute nach, was der junge Mann da so tat, damals.

Bald schon entzückten Cimiottis ungewöhnlich waagerecht gedachten und aufreizend filigranen Bronzen die BesucherInnen der Biennale von 1958, wo man ihn in den italienischen Pavillon kuratiert, obwohl doch die Familie schon seit fast 200 Jahren in Deutschland lebt, und dann noch einmal bei der von 1960, dann aber im deutschen Pavillon. Zur documenta wird er eingeladen, 1959, 1964 und auch 1968 wieder, damals, als das Informel im Nachkriegsdeutschland eine Kunstbewegung war, die eben keinen Wiederaufbau unternehmen wollte – sondern nach einem Neuanfang suchte. „Die ganze Tradition – die war durch die Nazis verbraucht“, sagt Cimiotti. „Als wir anfingen, da ging es uns um eine absolute Abkehr von der Geschichte.“

Sehnsucht nach Neuanfang

Ganz im Gegensatz zur Schicht der politischen Entscheider, teilte die intellektuelle Elite diese Sehnsucht nach dem Neuanfang mehrheitlich. Sie suchte nach Kontakten zu den Avantgarden des Westens. Und die Methode, mit Gesten, ungeplant und ungesteuert, eine Kunst der Spontanität entstehen zu lassen, die ihre Nahrung, ihre Kraft, ihre Vision aus den Tiefen des Unbewussten bezieht – genau das bedeutet ja Informel – schien am ehesten dazu geeignet, sich von Geschichte und kollektivistischem Totalitarismus zu befreien. Nicht ihre Verheerungen zu verdrängen. Aber ihre Uniform loszuwerden – und als Individuum einfach dazustehen. Für sich, schutzlos, verletzlich. Reflexion, nicht Bewusstsein, nicht Willen, sondern Geworfen-Sein – das Hirn sollte ein Vollbad nehmen, in den Begriffen der 1950er-Philosophie, um besser zu sehen, in der Bremer Ausstellung.

Unbeliebtes Verfahren

Es ist ganz und gar nicht selbstverständlich, dass es Informel auch in der Plastik gibt: Dass erst ein Modell produziert wird, damit ein Handwerksbetrieb die Figur gießen kann, bedeutet ja Planung – also nix mehr spontan. Aber Cimiotti findet dann eben doch einen Weg, den unwiederholbaren Drive der Geste selbst in jenem arbeitsteiligen Prozess zu bewahren. Er modelliert im nachgiebigen Wachs, statt, wie eigentlich alle anderen, in schwergängigem Gips. Wieso? Das findet er „eine merkwürdige Frage“, schließlich hätten das schon die alten Germanen so gemacht, die Bronzezeit, oder auch das Mittelalter noch. Aber eben: Seither immer weniger. Das Ausschmelzverfahren ist ziemlich unbeliebt – weil der Guss das Modell zerstört. „Es ist nicht besonders rationell“, räumt auch Cimiotti dann doch ein, ja, es „wäre so, wie wenn Mercedes jedes Auto nur einmal herstellen könnte“.

Was aber zählt für ihn, ist der „Vorteil von Wachs: Dass es jede Form annimmt.“ Wachs vollzieht nach, wie die Hände sich ihm eindrücken, Wachs prägt sich Spuren jeder Bewegung ein, es ermöglicht, skulptural und doch antisubstantialistisch zu arbeiten – ohne Kern, ohne Volumen, sondern in Feldern, in Strukturen und in Schichten den Raum zu besetzen.

Kein klassisches Motiv

Und wo andere dralle Wülste in die Höhe schrauben, graben und ranken sich bei Cimiotti Höhlungen und Löcher, Durchbrüche und Wucherungen, oft entlang der Horizontalen: „Confinböden“ hat er seine Arbeit benannt, so heißen die Wiesenflächen am Fuße des Langkofels in Südtirol – und das ist kein klassisches bildhauerisches Motiv. Oder „Horizont“ und, auch das eine zwingende Bewegung entlang der Oberfläche, „Scylla und Charybdis“.

Diese Horizontale – das frappiert, noch immer. Weil, klar: Es gibt „Die Liegende“ und so, aber die aufrechte Figur, ob heldisch-kühn oder vollbrüstig-verlockend ist doch der Archetyp. Wahr ist, dass auch Cimiotti die Vertikale nicht ganz uninteressant findet. Aber dort, wo er sie im Sinne traditioneller Plastik bespielt – überzeugt er nicht: Da ist zum Beispiel Vera, die einzige Sandguss-Bronze, die, ein bisschen unfair, im Zentrum der Marcks Haus Ausstellung steht. Sie stammt aus dem Jahr 1966 und wirkt, als hätte hier ein begabter Schüler einen Frauentorso à la Henry Moore gestaltet. Brav – und banal.

An der Grenze zu Kitsch

Bei anderen Arbeiten wiederum scheinen die Titel auch etwas standbildartiges zu verheißen, und doch ducken sich die Werke wieder: „Romeo und Julia“ etwa ist ein fußabtreterkleines Rechteck aus Blätterranken und grinsenden Totenschädeln. Das stammt von 1974 und auch wenn Cimiotti da wieder bei seiner verschwenderischen Wachstechnik gelandet ist, grenzt seine prononcierte Figürlichkeit hier schon an Kitsch und wirkt noch immer wie ein Zeichen von Verunsicherung: Wäre das Informel – vorbei?

Immerhin gab es Weggefährten, die komplett auf die fidele Konsumkunst der Pop-Art umschwenkten. Der Österreicher Otto Herbert Hajek etwa, einst in Stuttgart Freund und Ausschmelzverfahren-Kollege – scheffelte in den 1970ern Kohle für in die Stadträume geklumpte farbenfrohe Konstruktionen, die den schnell verblassenden Charme dreidimensionaler Tapeten haben.

Bannstrahl des Vergessens

„Das Informel“, so Cimiotti, sei zu dieser Zeit „innerlich ermüdet“ gewesen: Auch die Geste kennt Entwicklung, Veränderung und Krise. Aber ein radikaler Wechsel der Kunst-Idee, das ist keine Option, nicht für Cimiotti. „Man baut ja doch die eigene Welt immer weiter aus“, erklärt er.

Und ähnlich gilt das auch für Emil Schumacher oder Karl Otto Götz, es gilt für Quadriga, für junger Westen, ZEN 49 und die Gruppe 52, jene Vielfalt von Gruppen des Informel, all jene, die versucht hatten, einen neuen Weg zu finden, eine echte Zukunft zu ermöglichen. Aber Kredit gab es nur für Wiederaufbau.

Sie alle trifft fast gleichermaßen der Bannstrahl des Vergessens, in jenem historischen Moment, als mit der großen Koalition von 1966 und schließlich dem Ende der Ära Brandt die mithilfe von Nazi-Finanziers wiederaufgebaute Republik ihren Vorrat an Utopien vollends verbraucht hat – und abgelegt den Glauben an eine andere Möglichkeit, an so etwas wie Neuanfang. Daran erinnern sie.

In ihren Arbeiten bleibt noch wach jener Impuls. Und Verdrängung trifft stets den unerfüllten Wunsch und tilgt die Bilder verratener Träume.

Emil Cimiotti, „Den Raum ganz anders besetzen“: bis 16. September,

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