Bilanz des Parteitags der US-Republikaner: Der Patriot als Reformer

John McCain schlug versöhnliche Töne an, präsentierte sich als unabhängig vom Washingtoner Establishment. Die eigentliche Heldin des Parteitags aber hieß Sarah Palin.

Um ihn ging's, ... Bild: reuters

Wochenlang hatten die Republikaner über das "messianische Auftreten" von Barack Obama gespottet. Aber als John McCain am späten Donnerstagabend vor sein Publikum trat, um offiziell die Nominierung seiner Partei für das Präsidentschaftsamt anzunehmen, zeigte sich, dass seinen Wahlkampfstrategen messianische Inszenierungen gleichfalls nicht fremd sind: In einem gleißend hell ausgeleuchteten Halbkreis stand der Kandidat auf der ansonsten in völliger Dunkelheit liegenden Bühne. Ein Heilsbringer.

Wie eine Predigt klingen auch große Teile seiner Rede: "Wir sind alle Gottes Kinder, und wir sind alle Amerikaner." - "Ich weiß, wie die Welt funktioniert. Ich kenne mich mit gut und böse aus." - "Nichts ist beglückender im Leben, als für eine Sache zu arbeiten, die größer ist als man selbst." John McCain spricht überwiegend in Sätzen, die überschriftentauglich sind - oder als Kalendersprüche. "Wir glauben an niedrige Steuern, Ausgabendisziplin und offene Märkte."

... aber sie stahl ihm die Show: Sarah Palin. Bild: ap

Fast übergangslos streift McCain in seiner 53-minütigen Rede fast alle Themen, die in der gegenwärtigen politischen Diskussion eine Rolle spielen. Erziehung sei "das Bürgerrechtsthema dieses Jahrhunderts". Äußerst knapp äußert er sich zur Zukunft des Gesundheitswesens und spricht sich für mehr Wettbewerb und Wahlfreiheit aus - sein Konkurrent Barack Obama wolle mehr Bürokratie.

In der Energiepolitik wiederum setzt McCain im Gegensatz zu seinem Rivalen auf den Bau neuer Atomkraftwerke und heftig umstrittene Offshore-Bohrungen. Der Kampf gegen die Abhängigkeit vom Öl werde Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen und sei der "Motor unseres künftigen Wohlstands".

Seit Monaten wird von konservativen Medien die Verstärkung von US-Truppen im Irak als Erfolgsrezept für den Sieg gefeiert. Diese Entscheidung rechnet sich McCain als persönliches Verdienst an: "Ich habe für die richtige Strategie gekämpft, mehr Truppen in den Irak zu schicken, als es nicht populär war, so etwas zu sagen. Das rettete uns vor einer Niederlage."

Der Kandidat spricht sich für ein "starkes Militär" aus, kündigt aber auch diplomatische Schritte neben militärischen für die internationalen Beziehungen an: "Wir werden damit aufhören, jedes Jahr 700 Milliarden Dollar an Länder zu geben, die uns nicht besonders mögen."

In einem politischen Rundumschlag für den Fall seines Wahlsieges am 4. November versprach McCain: Haushaltsdisziplin, niedrige Steuersätze, bessere Schulbildung und die Erschließung neuer Märkte. Auf dem Energiesektor will er die Abhängigkeit von ausländischem Öl verringern, indem er 45 neue Kernkraftwerke bauen und alternative Energien erforschen lassen will. Außerdem versprach er sofortige Ölbohrungen vor der US-Küste in Zonen, die bisher tabu waren.

In der Außen- und Sicherheitspolitik präsentierte er sich als Vietnamveteran und Patriot. McCain verteidigte erneut den Irakkrieg und die Truppenaufstockung, versprach aber neben militärischen Schritten vor allem diplomatische Wege in der Weltpolitik beschreiten zu wollen.

Die Demokraten erklärten in einer ersten Reaktion, McCain gehöre selbst zum politischen Establishment, von dem er sich in seiner Ansprache abgegrenzt habe. Bei wichtigen Reformen im Gesundheitswesen, in der Energiepolitik und bei der Bildung sei er dagegen gewesen.

Erklärt sich McCain näher? Nein. Stattdessen frenetischer Applaus. Solche Sätze kommen im Saal bei den rund 2.400 Delegierten besonders gut an. Gemeinsam jubelt man sich auch an diesem Abend wieder hinein in den seit Tagen hier propagierten Nationalismus.

Die Terroristen seien noch nicht besiegt. "Iran bleibt der größte staatliche Sponsor des Terrorismus." Die russische Führung habe demokratische Ideale zurückgewiesen und den Ehrgeiz, das russische Imperium wieder aufzubauen. "Wir stehen vielen Bedrohungen in dieser gefährlichen Welt gegenüber, aber ich fürchte mich nicht vor ihnen. Ich bin darauf vorbereitet."

Aus all den knappen Sätzen McCains schälte sich dennoch der Tenor einer Botschaft heraus: dass nämlich grundlegender "Wandel kommen wird". Die politische Klasse - auch die republikanische Partei - habe das Vertrauen der Bevölkerung verloren, weil "wir die Macht über unsere Prinzipien gestellt haben". Der Kandidat versprach, das ändern zu wollen: "Ich arbeite nicht für eine Partei. Ich arbeite nicht für eine besondere Interessengruppe. Ich arbeite nicht für mich selbst. Ich arbeite für euch alle."

Dem Präsidenten, den er namentlich kein einziges Mal erwähnte, dankte er knapp für seine Führungsstärke in der Zeit nach den Anschlägen des 11. September. Kein weiteres Wort - eine deutliche Geste der Distanzierung von Amtsinhaber George W. Bush.

Den hatte, welch ein Glück für McCains Wahlstrategen, zu Beginn der Woche Wirbelsturm "Gustav" in den Süden verschlagen. Der Präsident schickte am zweiten Tag des Parteitreffens eine harmlose Videobotschaft. Darin sprach er sich für McCain aus - und richtete ansonsten zur Erleichterung aller keinen weiteren Flurschaden an. Vermisst hat ihn in Minneapolis niemand, am wenigsten John McCain.

Der gibt sich unterdessen bewusst milde und spricht seinem demokratischen Konkurrenten Barack Obama "Respekt und Bewunderung" aus. Ungeachtet aller Differenzen gebe es zwischen ihnen mehr Gemeinsames als Trennendes: "Wir sind beide Amerikaner, das bedeutet für mich mehr als alles andere. Wir stehen unverbrüchlich zu der Aussage, dass alle Menschen gleich geboren sind und von unserem Schöpfer mit unveräußerlichen Rechten versehen wurden. Kein Land hatte jemals ein größeres Ziel."

John McCain kann es sich seit dieser Woche leisten, so überväterliche Dinge zu sagen. Angriff auf und Spott über seinen Konkurrenten darf er ab jetzt getrost seiner frisch gekürten Vizekandidatin Sarah Palin überlassen. Die junge Gouverneurin aus Alaska, die John McCain offenbar ohne umfassendere Konsultierungen und Recherchen am vorvergangenen Freitag kurzfristig aus dem Hut gezaubert hatte, füllt diese Rolle bestens aus. Die 44-jährige Palin war dann auch noch am Donnerstagabend, beim finalen Luftballonregen, der eigentliche Star der Woche.

Dass es bei dieser Wahl aus Sicht der Konservativen in erster Linie um "Charakter" gehen wird, daran ließen die Parteitagschoreografen keinen Zweifel. Am ausführlichsten sprach McCain daher über seine Zeit als Kriegsgefangener in Vietnam. Er habe in dieser Zeit die Grenzen seiner "egoistischen Unabhängigkeit" erkannt und begriffen, dass jeder Mensch auf andere angewiesen sei.

Das Treuegelöbnis auf Nation und Fahne beim "Pledge of Allegiance": Delegierte auf dem republikanischen Parteitag. Bild: dpa

Damals habe er begonnen, sein Land zu lieben: "Ich gehörte nicht länger mir selbst - ich gehörte meinem Land." Dieser Haltung will er auch als Präsident treu bleiben: "Ich werde dafür kämpfen, dass jeder Amerikaner allen Grund hat, Gott so zu danken, wie ich ihm danke, dass ich ein Amerikaner bin."

"Yes, yes, yes", ruft Lorraine Quarrumb und kann ihrer Begeisterung nur Ausdruck verleihen, indem sie hektisch mit ihrem selbstgemalten Schild wedelt. Darauf hat sie "Real American Hero" gemalt. Jedes Mal, wenn McCain etwas sagt, was ihr gefällt, springt sie auf und wedelt. Und das ist oft.

"Er erinnert uns daran, warum Amerika so großartig ist", sagt sie, als sich der tosenden Schlussapplaus gelegt hat. "Ich liebe, wie er gegen Washington wettert", meint die junge Frau aus Wyoming, "besonders gegen diese Geldverschwendung, vor allem für andere Länder. Die sollen doch selber sehen, wie sie klarkommen. Warum sollen wir uns immer aufopfern", fragt sie, und ihr Sitznachbar Don, wie sie Delegierter, pflichtet ihr bei.

McCain ist klasse, darin sind sie sich einig, aber richtig happy sind beide über Sarah Palin. "Die steht für die Dinge, die mir am wichtigsten sind: das Recht aufs Waffentragen und Abtreibungsverbot."

"Solche Leute sind nicht gut für uns Republikaner", sagt einige Sitzreihen weiter George Buffett. "Diese Sozialkonservativen sind wie ein Korsett", nörgelt er. Er hat als einziger in seiner New-Mexiko-Delegation bei den Reden des Abends kaum geklatscht. Er sei halt ein Moderater, eine selten werdende Spezies, scherzt er. Er selbst saß 24 Jahre im Abgeordnetenhaus von New Mexico.

Als er seinen Nachnamen nennt, lässt er von sich aus wissen, dass er der Cousin des großen Warren Buffett ist, einem bekannten Finanzguru. Warrens Vater, sein Onkel, sei ein sehr konservativer Politiker gewesen, der ihn stark beeinflusst habe. Aber mit christlichem Konservatismus habe das damals nichts zu tun gehabt.

Trotzdem hat er einen Narren an Palin gefressen. "Sie ist halt das Gesicht des Durchschnittsamerikaners. Well, ich bin ein Durchschnittsamerikaner", sagt der 79-Jährige, der eben "ein bisschen reich ist".

Seinen ersten Parteitag hat er 1952 mitgemacht. Seitdem hat er kein einziges Mal gefehlt. Aber jetzt hat er keine Lust mehr. "Das Fernsehen hat uns alles kaputt gemacht", mosert er, und andere aus den umliegenden Sitzreihen nicken. "Diese kurzen Reden, diese Videos. Das ganze Theater hier ist so eine durchstrukturierte Show. Die wird von ganz anderen gesteuert als denen, die hier sitzen." Nein, Buffett langweilt das alles nur noch. Er will jetzt einfach nur noch nach Hause. "Hier ist mir alles zu perfekt."

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