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■ BewegungsmelderWie Brecht aus Horst Lehmann einen Duke machte

Vielleicht wollte Lehmann einfach nur ausbrechen. Seinen Getränkefachhandel nach 40 Jahren im miefigen Potsdam zurücklassen. Zumindest für einen kurzen Augenblick den wirklichen Ruhm erleben: Weltruhm! Das ist etwas anderes, als in Potsdam „Getränke-Lehmann“ zu sein und auf dem Golfplatz Schwiegersohnmanieren an den Tag zu legen.

Vor einem Jahr zumindest muß irgendwie der „Alabama-Song“ von Bert Brecht an Horst Lehmanns Ohren gedrungen sein. „Oh, show us the way to the next whisky-bar“, summte es immerzu in seinem Kopf. „Oh, don't ask why, oh, don't ask why.“ Er hatte das Gefühl, daß Whisky ihm Ruhm und Glück bescheren wird.

Fortan rührte er vor allem in Berlin die Werbetrommel und schwatzte seinen Kunden Whisky auf – für den Gastro-Bereich kistenweise die schottische Spirituose, für stilvolle Abende im Kaminzimmer die ausgewählt edlen Tropfen und für seine treuen Kunden vor dem Lidl-Markt den Billigverschnitt. Über eine halbe Million Flaschen Whisky mischte der fleißige Geschäftsmann 1997 in Berlin und den neuen Bundesländern unters Volk und rieb sich die Hände. Gute Arbeit, Lehmann!

Christian Rosenberg wurde bald auf den kleinen Potsdamer mit Bauchansatz und graumeliertem Haar aufmerksam. Wenn Whisky in großen Mengen verkauft wird, ist Rosenberg als offizieller Whisky-Botschafter Deutschlands zur Stelle. „Den Lehmann muß ich für meinen Klub haben“, dachte er und nahm Kontakt auf. Was dann geschah, ist nur der Gerüchteküche Potsdams zu entnehmen, die in kleinbürgerlichen Verhältnissen bestens funktioniert.

Lehmann sollte nach Schottland reisen und auf „Blair Castle“ zum „Keeper of the Quaich“ ernannt werden. Ein Ehrentitel, weil er so fleißig den Whisky verkauft hatte. „Kieper auf wat?“ fragte seine Frau irritiert. „Quäitsch“, erklärte Lehmann, „ist gälisch und bezeichnet ein silbernes Trinkgefäß, aus dem Whisky getrunken wird.“ Lehmann sollte Mitglied einer exklusiven internationalen Gesellschaft werden, die ihre Zeit gerne mit Whiskytrinken und dem Rauchen teurer Zigarren verbringt. Getränke-Lehmann in einer Reihe mit dem Duke of Argyll, Duke of Atholl und Ritter des schottischen Distelordens.

Freudig nahm er in Schottland die Auszeichnung entgegen. Das war im Oktober. Mißlich war nur, daß der Schottenrock nur knapp über den Bauch paßte. Aber Adel verpflichtet, auch wenn es bei den herbstlichen Temperaturen unten reinzieht. Toll fand er den Rock wahrlich nicht, und auch seine Frau war skeptisch, seitdem er aus dem Strumpf ein langes Messer gezogen hatte. Aber ihr Gatte war nun eine Persönlichkeit.

Zurück in Potsdam. Vor einigen Tagen schlich er sich im Dunkeln zu seinem Wagen. Die Nachbarn sollten nicht sehen, daß er einen Rock und hohe Strümpfe trägt. Wenn er Schützenkönig wäre, hätte er dieses Problem nicht. Aber Lehmann hatte einen wichtigen Termin im Hotel „Vier Jahreszeiten“ im schicken Bezirk Grunewald. Die Mitglieder von „The Keepers of the Quaich“ wollten ihren Neuling feiern, mit Whisky und teuren Zigarren, versteht sich. Und Lehmann stand im Mittelpunkt: Er schüttelte Hände und lernte gälische Trinksprüche. Und wenn er zur Ruhe kommt, summt es leise in seinem Kopf: „Oh show us the way to the next whisky-bar. Oh, don't ask why, oh, don't ask why.“ Mike Szymanski

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