: Bevölkerungsökologie
■ Ein Nachtrag zum Weltbevölkerungsbericht
Täglich wachsen die ökologischen Probleme der Welt, täglich wächst die Weltbevölkerung. Was liegt näher, als beide Phänomene miteinander zu verbinden und die neue Disziplin der „Bevölkerungsökologie“ zu propagieren: In ihrer gestrigen Ausgabe berief sich die 'FAZ‘ auf den vor wenigen Wochen erschienenen „Weltbevölkerungsbericht 1990“ des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) und schrieb: Der Weltbevölkerungsbericht „sollte Pflichtlektüre für alle Umweltschützer und Dritte-Welt-Aktivisten sein“, dort sei die „Schlüsselrolle der Bevölkerungszahl für die Umwelt dargestellt“.
Tatsächlich fordert der UNFPA-Bericht „saubere Technologien“ und „Erhaltung der Ressourcen“ besonders „für das reichere Viertel der Weltbevölkerung“. Als nächsten Schritt fordert der Bericht die „direkte Bekämpfung der Armut selbst an allen Fronten“ und eine „Reduzierung des Bevölkerungswachstums“. Der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und sich ständig verschärfender Armut von zwei Dritteln aller Menschen wird von der UNO eindeutig thematisiert: Analphabetismus, Unterdrückung der Frauen, fehlende Alterssicherung, hohe Säuglingssterblichkeit... Die soziale Sicherung aller Menschen gehört zu den zentralen Thesen des Berichts.
Bezeichnend demgegenüber die Rezeption der 'FAZ‘: Ohne Angabe der Quelle verweist sie die komplexe Ursachenanalyse und die sich daraus ergebenden Folgerungen in den Bereich der alternativen Spinnerei. „Wenig“ habe die Situation in der Dritten Welt „mit unserem Lebensstil zu tun“. Der „Beitrag der reichen Staaten“ für „Völker der armen Länder“ könne nur „bescheiden“ sein. Damit wird der UNO-Bericht so zugerichtet, wie der vereinigte Wirtschaftsgigant Deutschland das braucht. Es ist unmodern geworden, über Ausbeutung und Imperialismus zu reden. Um die ideologische Front der Industriestaaten zu stabilisieren, müssen nur noch die ökölogisch orientierten Mittelständler Nordamerikas und Europas integriert werden, damit auch sie die Probleme der Welt als ein „Zuviel“ an Menschen auf der südlichen Halbkugel betrachten. Massensterilisierungen, Hungersnöte, fehlende Hilfe bei Naturkatastrophen, regionale Kriege, Bürgerkriege und die fortlaufende Verschlechterung der ökonomischen Perspektiven der Dritten Welt sind dann Ereignisse, die nicht mehr das Gewissen belasten, moralisch begründeten Protest hervorrufen, sondern achselzuckend als unterschiedliche Methoden einer modernen „Bevölkerungsökologie“ zur Kenntnis genommen werden sollen.
Götz Aly
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