Bettina Scharrelmann über Migrationspolitik: „Abschiebehaft ist Ultima Ratio“
Früher schrieb Bettina Scharrelmann Migranten-freundliche Erlasse. Nun leitet sie die Bremer Ausländerbehörde. Wie das zusammengeht, sagt sie im taz-Gespräch.
taz: Frau Scharrelmann, Sie gelten als politisch links. Nun leiten Sie die Bremer Ausländerbehörde. Ein Widerspruch?
Bettina Scharrelmann: Ich bin Verwaltungsbeamtin und mache meine Arbeit nach dem Gesetz und nach dem, was mir mit auf den Weg gegeben wird.
Was hat Sie daran interessiert?
Ich habe mich immer damit befasst, wie wir mit Zuwanderung umgehen. Die politische Zielrichtung, die in der Ausschreibung formuliert war – eine Willkommenskultur zu etablieren – ist das, was mich gereizt hat.
Wie weit wollen Sie da gehen?
Wenn man überlegt, wie viel Zeit man für jeden hat, dann hat das Grenzen. Ende 2013 waren wir mit 65 Stellen für 74.688 Ausländer zuständig, im Laufe 2014 werden es 73,5. Aber mein Ziel ist, dass wir die Anliegen so gut wie möglich bearbeiten. Freundlichkeit gehört immer dazu.
Flüchtlings-Beratungsstellen berichten eher von rassistischen Sprüchen…
Ich habe noch nicht eine rassistische Äußerung von Kollegen gehört. Ich erlebe eher eine große Gleichbehandlung, ohne Ansehen der Person. Den Vorwurf muss ich wirklich zurückweisen.
Sie sind allerdings auch für Abschiebungen zuständig.
Auch da hat Bremen eine politische Richtung, die ich teile: Die Abschiebehaft ist Ultima Ratio. Es entspricht auch meiner Vorstellung, dass Menschen, die hier schon eine Weile leben, einen Aufenthaltstitel bekommen. Ich denke, Kettenduldungen verhindern Integration. Diese politische Linie Bremens teile ich sehr.
Aber auch Bremen schiebt ab.
Ich trete dafür ein, dass wir eine gute Verhältnismäßigkeitsprüfung machen, nach bestmöglichen rechtstaatlichen Kriterien.
Können Sie die Gesetzeslage auch kritisieren und politische Meinungen vertreten?
Als Beamtin habe ich kein politisches Mandat. Aber natürlich kann ich im Gespräch mit dem Innenressort aufzeigen, welche Auswirkungen ein Gesetz hat.
Was ist in der Ausländerbehörde seit Ihrer Berufung besser geworden?
Weil wir personell gewachsen sind, werden wir Termine wieder so vergeben, dass sie in der Regel zum Anliegen passen.
45, ist parteilos und leitet seit August 2013 die Bremer Ausländerbehörde. Als Rechtsanwältin engagierte sie sich jahrelang gegen sexualisierte Gewalt und verteidigte betroffene Frauen vor Gericht. Zuletzt arbeitete sie vier Jahre lang bei der Bremer SPD-Fraktion als Parlamentsreferentin für Innen und Rechtspolitik, wo sie unter anderem an ausländerpolitischen Erlassen mitwirkte, mit dem Ziel, Ermessensspielräume zugunsten der MigrantInnen auszulegen.
Was heißt das?
Noch im Sommer konnte bei einer abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis nicht rechtzeitig ein Termin vergeben werden. Dann mussten die Kunden trotzdem vorsprechen und wenn sie reisen wollten, mussten sie sich noch mal extra Schreiben ausstellen lassen. Das läuft jetzt anders.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit…
Ja, das ist nun kein großartiger Service, das ist ein Mindeststandard. Dadurch, dass die personelle Ausstattung jahrelang sehr schlecht war, gibt es ein großes Misstrauen. Wir sind bei der Personalausstattung noch nicht da, wo wir sein sollten. Zukünftig wollen wir telefonisch besser erreichbar sein und dem Anliegen gerechte Termine vergeben – wenn jemand eine Arbeit aufnehmen möchte und auf unsere Zustimmung drei Monate warten muss, dann ist der Job weg.
Innensenator Mäurer hat in Erlassen die Ermessensspielräume zugunsten von MigrantInnen ausgelegt. Nur hat die Behörde sie nicht umgesetzt…
Die Mitarbeiter haben alle eine Verwaltungsausbildung. Dann kommt ein Erlass, der von einem Juristen im Innenressort formuliert wurde, auf knapp einer halben Seite. Es hat Situationen gegeben, wo die hier nicht richtig verstanden worden sind.
Beratungsstellen berichten, die Ausländerbehörde mache sich nach wie vor Arbeit, um Aufenthaltstitel zu verhindern.
Das ist sicher nicht unsere Zielrichtung und wir haben damit begonnen zu prüfen, wie tief unsere Prüfung gehen muss.
Zum Beispiel wird eine Lebensunterhalts-Sicherung verlangt, die laut Erlass gar nicht mehr nötig ist. Wieso machen Sie es den Menschen so schwer?
Auch in diesen Fällen haben Ermessensprüfungen stattzufinden. Unsere Zielrichtung ist es dennoch, nach Möglichkeit Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Also: Wir suchen nach Wegen.
Es kommen wieder mehr Flüchtlinge. Gibt es Druck, genauer zu prüfen, um sie schneller wieder loszuwerden?
Wenn jemand visumsfrei als Tourist einreist, darf er das nicht, um hier bleiben zu wollen. Das ist eine unerlaubte Einreise. Wir prüfen das und schauen dennoch, ob die Person eine Duldung bekommen kann oder ob eine Umverteilung in ein anderes Bundesland erfolgen muss.
Roma aus Serbien etwa werden neuerdings systematisch wegen illegaler Einreise angezeigt.
Die Strafanzeige macht die Polizei. Wir stellen fest, ob rechtlich eine illegale Einreise vorliegt. Das betrifft nicht nur Menschen, die vom Balkan kommen.
Also führen die steigenden Flüchtlingszahlen dazu, dass genauer geprüft wird?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ob sich das Menschen in Bremen wünschen würden, gerade im Hinblick auf die Sozialsysteme, das weiß ich nicht. Ich habe aus dem Innenressort keinerlei Anweisung in diese Richtung bekommen und verstehe den politischen Willen so, dass sehr viel Wert darauf gelegt wird, die Menschen gut aufzunehmen.
In Bremen gilt ein Winter-Abschiebe-Stopp für die Westbalkan-Staaten. Hamburgs Innensenator sagt, das sei nicht nötig, Schutzbedürftige würden ohnehin nicht abgeschoben…
Ein Erlass ist ein wichtiges Signal. Mir sind die Lebensverhältnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan bewusst. Daher waren bei mir die Türen dafür offen.
Die Bundesregierung will die Balkanländer pauschal zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Müssten Sie das umsetzen?
Grundsätzlich besteht dann eine Ausreisepflicht, aber man kann prüfen, ob man diese zwangsweise umsetzten muss. Auch ein Aufenthalt aus humanitären Gründen ist immer zu prüfen.
Linke kritisieren Europas Abschottungspolitik. Wie sehen Sie das?
Ich halte es für schwierig, wenn man Menschen, die in ihren Ländern verfolgt werden oder keine Lebensgrundlage mehr haben, keine Möglichkeit bietet, auf legalem Weg nach Europa zu kommen und einen Asylantrag zu stellen. Wenn wir sagen, Europa ist für die Möglichkeit von Asyl, dann muss es auch die Möglichkeit geben, herzukommen.
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