Betroffenenvertreter zur Missbrauchspolitik: "Es fehlt der Wille"

Der Runde Tisch zum sexuellen Missbrauch hat versagt, sagt Betroffenenvertreter Christian Bahls. An der Situation der Opfer habe sich nur wenig geändert.

Christian Bahls ist von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (links, FDP) enttäuscht, weil sie ihre Vermittlerrolle aufgab. Bild: dapd

taz: Herr Bahls, im April 2010 hat die Bundeskanzlerin drei Ministerinnen entsandt, um sexuelle Gewalt aufzuarbeiten und zu bekämpfen. Was ist von dem Schwung geblieben?

Christian Bahls: Die Aufbruchstimmung, die es unter den Betroffenen gab, ist zerschmettert. Im Jahr 2010 haben sich viele Betroffene sexueller Gewalt getraut, mit sehr schmerzvollen Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie hatten die Hoffnung, dass sich endlich etwas tut für sie. Aber an der schwierigen Situation der Opfer ändert sich nur wenig.

Wie erklären Sie sich diese Themenkonjunktur?

Das alles riecht danach, dass man das Thema Missbrauch jetzt kleinverwalten will. Sorgfältig platziert man eine Studie, die so gelesen wird, als ob es fast keine sexuelle Gewalt mehr gäbe. Die Studie wiederholt frühere Fehler - Heimbewohner, Obdachlose, Gefangene und Menschen in Psychatrien wurden nicht befragt. Jetzt lässt man Frau Bergmann nach Hause gehen - und sägt den Stuhl der Beauftragten gegen sexuelle Gewalt Stück für Stück zu Kleinholz.

Aber der Runde Tisch war doch ein Qualitätsunterschied?

Ja, auch ich war im März noch dieser Meinung. Ich merkte erst, was am Runden Tisch abgeht, als wir für die Opfer von Missbrauch in der Familie, die den allergrößten Teil der Betroffenen ausmachen, keine wirkliche Verbesserung heraushandeln konnten. Ich bin persönlich enttäuscht von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weil ihr Ministerium seine Rolle als Vermittler aufgab. Wir von MOGiS haben uns vom Runden Tisch zurückgezogen. Wir merkten, dass wir nur als legitimierende Girlande gedacht waren.

33, ist Vorsitzender des Opferschutzvereins "MOGiS - Eine Stimme für Betroffene". Der Diplommathematiker und andere haben MOGiS 2009 als "Missbrauchsopfer gegen Internet-Sperren" gegründet.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Christine Bergmann?

Sie hat dafür gesorgt, dass die Opfer an den Runden Tisch kommen, sie hat geholfen, Opfergruppen zu einer Bundesinitiative zusammenzubringen. Und sie hat darauf bestanden, dass nicht sie die Stimme der Betroffenen ist, sondern dass wir eine eigene Stimme haben.

Wieso taktiert die Regierung jetzt so?

Ganz einfach: Es fehlt der politische Wille, Konsequenzen aus dem tausendfachen Missbrauch zu ziehen. Einzelne Opfergruppen werden noch eine Weile Krach schlagen. Bald aber wird es heißen: Jetzt mal Ruhe! Wenn die Kameras aus sind, hören wir das sowieso die ganze Zeit.

Was ist Ihre Kritik an den Ergebnissen des Runden Tischs?

Niemand garantiert uns, dass auch nur eine einzige der Absichtsbekundungen Gesetz wird. Der Runde Tisch scheint vergessen zu haben, dass sich sein Erfolg daran messen muss, was am Ende für die Betroffenen herauskommt. Und da hat er versagt.

Was fordern sie?

Wir bräuchten ein unkompliziertes und unbürokratisches Hilfesystem. Jetzt deckelt man die Hilfen, wie Therapiekosten, wahrscheinlich bei 10.000 Euro - das reicht gerade mal für eineinhalb bis zwei Jahre. Jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß aber, dass man schnell bei drei, fünf oder acht Jahren Therapie ist. Dabei geht es nicht um Kosten, sondern um Schicksale.

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