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Archiv-Artikel

„Betreuung“ von der „Kripofrau“

betr.: „Staatliche Abschieber, private Sozialarbeit“, taz vom 15. Januar

Auf politische und ökonomische Fluchtgründe antworten Legislative und Exekutive mit Ausreisepflicht, Freiheitsberaubung, menschenunwürdiger Knastunterbringung, unangemessener bis fehlender medizinischer, psychologischer und sozialer Versorgung während der Haftzeit, und mit „zupackender“ Abschiebung.

Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Abschiebungsgewahrsam, nach dessen § 9 der Bremer Senat eine sozialarbeiterische Betreuung der Gefangenen zu gewährleisten hat, fehlt nach wie vor jede Spur von einer professionellen Sozialarbeit. Wir „Ehrenamtlichen“ von grenzenLOS können belegen, dass die anscheinend für vier Stunden wöchentlich angestellte „Sozialarbeiterin“ den gesamten Dezember über nicht anwesend war. Vermisst wurde sie dabei keinesfalls. Ohne ausreichende Fremdsprachenkenntnisse, ohne eigenen Etat und damit ohne Mittel für Dolmetscher, ohne erkennbare fachliche Qualifikation und Engagement und vor allem – als Angestellte der Polizei – ohne die notwendige Unabhängigkeit haben ihre spärlichen Kontakte zu den Gefangenen in den Wochen zuvor dazu geführt, dass sie unter dem Spitznamen „Kripofrau“ (O-Ton eines Gefangenen) bekannt ist. Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang, dass in dem Artikel der Eindruck erweckt wird, grenzenLOS könne alle menschlichen Leiden, die diese skandalöse Abwesenheit von sozialarbeiterischer Betreuung hervorruft, durch ehrenamtliches Engagement kompensieren. Um nur ein Beispiel aus dem Dezember 2002 zu nennen: Eine schwangere Frau aus Polen hat tage- und nächtelang Krämpfe im Unterleib. Trotz dieser eindeutigen Indikation und dem dringenden Bitten der Frau verwehrt der polizeiärztliche Dienst ihr eine fachärztliche Untersuchung durch einen Gynäkologen. Ohne sie selbst eingehend untersucht zu haben, attestiert schließlich ein Arzt vom Beweissicherungsdienst Reisefähigkeit. Einen Tag später wird sie mittellos für die 330 km weite Weiterreise zu ihrem Heimatort bei klirrender Kälte an der Deutsch-Polnischen Grenze ihrem Schicksal überlassen.

Ralf Hillebrandt/grenzenlos