Betr. (nicht): SPD und Grüne: Der Wohn-Wahnsinn

Die Wohnfrage wird in Großstädten inzwischen selbst für Ärztinnen zum Problem. Dabei gibt es Lösungen. Doch SPD und Grüne interessiert das offenbar nicht.

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Von UDO KNAPP

„Für die Grünen ist Wohnen ein Grundrecht. Wir wollen es als einen Bestandteil von neuen sozialen Grundrechten in unser Grundgesetz aufnehmen.“

Die tagtägliche Wohnungspolitik wird auch bei den Grünen nur pflichtgemäß als soziales Gedöns im großen politischen Theater mitbehandelt. Ordnungspolitische Einzelmaßnahmen vom Wohngeld über die Beschränkung der Maklerhonorare bis zum Mietendeckel, dessen Inkrafttreten in Berlin sich gerade jährt, zeigen zwar entlastende Wirkungen in der Wohnungsfrage, die Grundsatzfrage „Wem gehört die Stadt“ mit allen ihren ästhetischen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen wird allerdings politisch nicht angesprochen. Solange es auf diese Frage keine verrechtlichte Antwort im Interesse aller Bürger und ihrer Stadt gibt, bestimmen die Eigentümer von Grund und Boden, Hauseigentümer, Kapitalgesellschaften, Finanzinvestoren und ihre Lobbyvereine weiter allein darüber, wer wo und wie in den Städten lebt – und wie es mit der Stadt weitergehen wird.

Irrwitzig hohe Mieten, fehlender Neubau, phantasielose Nützlichkeitsarchitektur: Der Wohnungsprivatisierungs-Furor und Spekulation bestimmen den Alltag des Wohnens in der Stadt. Dieses politische Versagen bezahlen mit einem immer höheren Anteil ihres Einkommens die Mieter in den Städten. Von den locker vorgegebenen durchschnittlichen 30 Prozent des Einkommens für die Mieten aller Haushalte hat sich der Wohnungsmarkt ungehindert emanzipiert.

Die Wohnungsfrage gehört deshalb auch bei den mittleren und höheren Einkommensbeziehern zum nervenzehrenden Alltag. Ein Beispiel aus Berlin: Luise W., eine alleinerziehende Ärztin, mit zwei, aber schon bald drei Kindern, braucht eine Vierzimmerwohnung. Mit einiger Mühe, ihrem sicheren Einkommen, einer unbelasteten Schufa und ohne Wohnberechtigungsschein im Hintergrund hat Luise durchaus passende Wohnungen entdeckt. Allerdings war unter den Angeboten auf dem freien Wohnungsmarkt keine einzige Vierzimmerwohnung um die 100 qm, deren Kaltmiete unter 1.600 Euro monatlich lag. Der jungen Ärztin bleibt am Ende nichts anderes übrig, als eine Miete in dieser Höhe irgendwie zu stemmen oder gleich eine Eigentumswohnung zu kaufen oder ins entferntere Umland auszuweichen. Dort, wo es für die junge Ärztin mit Einschränkungen weitergehen wird, beginnen für viele andere mit geringeren und unregelmäßigeren Einkommen nur schwer zu ertragende Lebenssorgen.

Die Öffentlichkeit organisiert sich

Während die Politik weiter herumdoktert, beginnt sich in der Öffentlichkeit der Ärger zu organisieren. Der Versuch, in Berlin einen Volksentscheid herbeizuführen zur Vergesellschaftung der Deutschen Wohnen und allen privaten Wohnungsgesellschaften mit mehrals 3.000 Wohnungen, wird seit kurzem von der ÖTV und der IG Metall offen unterstützt. Ein Bündnis aus dem Gesamtverband der Paritätischen Wohlfahrtsverbände, dem DGB und dem Deutschen Mieterbund startet gerade eine Kampagne für einen sofortigen sechsjährigen Mietenstopp. Alle politischen Parteien reagieren achselzuckend gar nicht.

Dabei liegen, und das bemerkenswerterweise aus der SPD, schon seit langer Zeit ausformulierte Vorschläge zu einer anderen Boden-, Wohnungs- und Baupolitik vor. Der im letzten Jahr verstorbene Hans-Jochen Vogel hat schon in den 70er-Jahren als Oberbürgermeister in München in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, ein grundsätzliches Verbot eines freien Grundstücksmarktes in den Kommunen einzuführen, ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke für die Kommunen festzuschreiben und die Verpflichtung der Kommunen festzulegen, diese Grundstücke selbst städtebaulich zu entwickeln und dann in Erbbaupacht an Genossenschaften, private Zusammenschlüsse und kommunale Wohnungsbaugesellschaften weiterzugeben. Vogel wollte auch den kommunalen Einfluss auf das Baugeschehen in den Städten durch eine Rücknahme der Entwicklung der zukünftigen städtischen Wohngebiete in kommunale Zuständigkeit wiederherstellen. Die mittlerweile freilaufenden, sich wie private Immobilienkonzerne gebärdenden GEWOBAG und Co. sollten auf die streng kontrollierte Bewirtschaftung ihrer Bestände zurechtgestutzt werden.

Vogels Idee einer in der Tradition einer sozialdemokratischen Gerechtigkeitspolitik verankerten öffentlichen Bodenpolitik als Basis für ein prinzipiell öffentlich bewirtschaftetes Gut „Wohnen“ haben Wirkung gezeigt, allerdings nicht in der Bundesrepublik. So werden in Basel Stadt öffentliche Grundstücke grundsätzlich nicht mehr verkauft, wird kontinuierlich potentielles Bauland zugekauft und nach öffentlich unter breiter Beteiligung erarbeiteten Entwicklungsvorgaben in Erbbaupacht an Genossenschaften, Baugruppen, Wohnungsbaugesellschaften und auch Private zum Mietwohnungsbau vergeben. Unter dieser Voraussetzung entstehen mit verbindlichen öffentlichen Vorgaben im Bestand und im Neubau sozial und von der Nutzung her vielfältige Quartiere.

SPD und Grüne torpedieren das Enteignungs-Volksbegehren

Vergleichbare Vorhaben wie das privat initiierte Wohnhochhaus (WOHO) mitten in Berlin werden von der regierenden SPD nicht betrieben, sondern bekämpft. Im WOHO soll in einer vertikal angeordneten, sozial in jeder Hinsicht aufgefächerten Nutzung eine lebenswerte, bezahlbare, aber auch für Eigentümer attraktive Verdichtung im Stadtzentrum erreicht werden. Zu der politischen Blockadehaltung passt, dass Grüne und SPD gemeinsam zwei Jahre lang versucht haben, das Enteignungs-Volksbegehren zu torpedieren. Österreichs Hauptstadt Wien gehören übrigens fast zwei Drittel aller Mietwohnungen, sie hat deshalb die stabilsten Mieten – und nach wie vor eine sehr starke SPÖ.

Das Wohnen in der Stadt kann wie das Wasser zu einem öffentlichen Gut in der Infrastruktur der Stadt gemacht und im Interesse aller Bürger dauerhaft gesichert werden. Zu einem solchen Schritt gehören Enteignungen nutzerfeindlicher, zu großer und öffentlichen Interessen entgegenstehender Wohnungsbestände überall in der Bundesrepublik, vor allem aber eine gesetzlich neu geregelte Bodenvorrangs- und Boden-Vorrats-Politik der öffentlichen Hand. Das meint, dass die Kommunen Grundstücke kaufen und im eigenen Besitz auf Vorrat halten, damit sie die Stadt nach eigenen Plänen entwickeln können und sie der Spekulation entzogen werden.

Der bloß symbolträchtige Verweis auf Änderungen im Grundgesetz, wie die Grünen ihn vorschlagen, wird dagegen gar nicht gebraucht. Es braucht nicht mehr als den politischen Willen als führende Regierungspartei im Bund und in den Ländern das Wohnen als öffentliches Gut auf einen vorderen Platz jeder Regierungsagenda zu setzen und entsprechend zu handeln. Ob die Grünen dazu ohne öffentlichen Druck wie etwa gewerkschaftlich gestützten Mieterstreik in der Lage sein werden, ist eine offene Frage.

UDO KNAPP ist Politologe.

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