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Archiv-Artikel

Betr.: Geschichte der taz-Berlin

Von WERA

1980–1981

Der erste Berlin-Teil der taz erschien am 3. November 1980 mit der Titelgeschichte über die Besetzung des Kerngehäuses in der Kreuzberger Cuvrystraße. Die Besetzerbewegung steckte damals noch in den Kinderschuhen, doch der Berlin-Teil der taz war bald ein wichtiges Kommunikationsorgan für die einzelnen Besetzergruppen und die, die es werden wollten. Merke: Häuserkampf hieß damals noch „Häusertango“ und Szene „scene“ (sprich: sßien). Zu den Gründern des Berlin-Teils zählte im übrigen die „Viererbande“ aus Johann Legner, Benny Härlin, Michael Sontheimer und Benedict Maria Mülder.

Nachdem der SPD-Stobbe-Senat abtrat und Hans-Jochen Vogel den Übergangsregierenden machte, stieg die Zahl der besetzten Häuser binnen kürzester Zeit auf 140 an und die taz berlin gewann an Auflage. Nach Großereignissen wurden teilweise bis zu 10.000 Exemplare von fliegenden Händlern verkauft.

Die SPD verlor die Neuwahl und ab 11. Juni 1981 stand Richard von Weizsäcker einem CDU-Minderheitensenat vor. Innensenator wurde Heinrich Lummer. Gleichzeitig zog die Alternative Liste (AL) erstmals ins Abgeordnetenhaus ein.

„Die Sanierung brachte Werner Orlowsky zur Politik zurück“, überschrieb die taz am 10. Juli 1981 ein Porträt des ersten Baustadtrats der AL in Kreuzberg. Zuvor betrieb Orlowsky eine Drogerie in der Dresdener Straße. Am gleichen Tag zogen Hausbesetzer zum „Sonntagsspaziergang“ in den Grunewald. Die Folge: eine kontroverse Debatte über angeblich „faschistische“ Praktiken der linken Szene. Nicht beschweren konnte sich am 24. Juli 1981 der heutige Chefredakteur des Stern und erklärte Angela-Merkel-Fan Hans-Ulrich Jörges. Er wurde an Kreuzberger Häuserwänden als angeblicher Polizeispitzel gebrandmarkt. Die taz stellte klar: Es handele sich lediglich um einen unbedeutenden Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters.

1981–1983

Die taz berlin vom 24. September 1981 stand im Zeichen der Trauer um Klaus-Jürgen Rattay. Nach der Räumung von neun Häusern durch Heinrich Lummers Polizei wurde Rattay vor einen BVG-Bus getrieben und starb. In der taz kommentierte Max Thomas Mehr: Das ist „das Ende der Politik in Berlin“. Im Kulturteil fanden seine Kollegen, man sei „unfähig, über Kultur zu berichten“. Stattdessen erschienen zwei Fotoseiten von den Ereignissen.

1982 stand der Berlin-Teil der taz im Zentrum einer Pornodebatte. Nach der Ankündigung des Charlottenburger Skandalstadtrats Antes, sämtliche Peepshows in der City West zu schließen, recherchierte Michael Sontheimer vor Ort und stellte am 26. Februar 1982 fest: „Peepshow-Frauen haben Angst um ihren Job“. Die Reaktion einiger Leserinnen ließ nicht lange auf sich warten. Sie schütteten in den Räumen der taz Buttersäure aus. Die Reaktion der Redaktion: vier leere Seiten am 3. März, damit die Leser ihre „äußere und innere Zensur einmal austoben können“.

Der Ostteil der Stadt spielte für die Berlin-Redaktion von Anfang an eine große Rolle. Immer wieder erschienen Berichte über Schikanen gegen Bürgerrechtler und manchmal auch, wie am 11. November 1983, ausführliche Reportagen. An diesem Tag ging es um die „Szene vom Prenzlauer Berg“. In dieser Gegend, hieß es, „knallen die verschiedensten Leute aufeinander“.

Im Westen kümmerte sich der Berlin-Teil nach dem Abflauen der Besetzerbewegung mehr und mehr um die Landespolitik. Richtig realpolitisch wurde die Berichterstattung, als Richard von Weizsäcker Ende 1983 ankündigte, die Stadt zu verlassen. Die taz-Rathausreporter schlugen sich offen auf die Seite von Hanna-Renate Laurien, die gegen Eberhard Diepgen um die Weizsäcker-Nachfolge antrat. In einem Interview am 16. Dezember 1983 sagte Laurien: „Kluge Männer sind immer für die Frauen.“

1984–1988

Weil in der Zeitschrift radikal Bekennerschreiben der „Revolutionären Zellen“ abgedruckt wurden, wurden die tazler Benny Härlin und Michael Klöckner wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Daraufhin machte sich die taz am 3. März 1984 deren Vergehen zu Eigen. Gedruckt wurden die inkriminierten Texte, die Härlin und Klöckner zur Last gelegt wurden. Die Schlagzeile: „Meinungsfreiheit ist radikal“.

Unterdessen haben sich auch Reportagen über das abseitige Berlin in die anfangs so politische Berichterstattung eingeschlichen. Ein Beispiel dafür war am 18. Juni 1985 ein Bericht über Molkereien in Berliner Hinterhöfen. Der Titel: „Wo die Stadt das Land umarmt“.

1986 zeigt sich auch, dass die taz berlin für Karrieren gut ist. Rathausreporter Johann Legner verlässt den Berlin-Teil Richtung Politik. Er wird Sprecher bei der FDP-Jugendsenatorin Cornelia Schmalz-Jacobsen.

1. Mai 1987: In Kreuzberg erobern Autonome die Straße, die Polizei muss sich zurückziehen, „Kreuzberg brennt“. Der Kreuzberger „Volksaufstand“ ist der taz Berlin erstmals in ihrer Geschichte vier Sonderseiten wert. Der Titel: „Berlin feiert – Feuerwerk in Kreuzberg“. Ganz anders Eberhard Diepgen: Er bezeichnete die Kreuzberger als „Antiberliner“.

Weniger von Volksaufstand als von einem schnöden Kauf einer Immobilie hat die taz-Chronik ein Jahr später zu berichten. Die taz zog nämlich von der Weddinger Wattstraße in die Kreuzberger Kochstraße. Bereits am 1. November 1988 hatte die „Stiftung Umverteilen“ das ehemals abrissbedrohte und später unter Denkmalschutz gestellte Kontorhaus in der Kochstraße 18 erworben – im damaligen „Zonenrandgebiet“ West-Berlins. Im Mai 1989 zog die Redaktion um, gleichzeitig war bereits der Beschluss für einen Neubau auf dem Nachbarschaftsgrundstück gefallen. Die Berlinförderung machte es möglich.

1988

Für taz-Geschäftsführer Kalle Ruch war der Umzug ins alte Zeitungsviertel ein nicht nur betrieblich, sondern auch politisch notwendiger Schritt. Am 5. November 1988 schrieb er im Berlin-Teil: „Vielleicht bewirkt der neue Ort, dass sich die taz ein kleines Stück Zeitungsgeschichte aneignet. Auch eine Form der Enteignung von Springer.“ Außerdem trug die Wertsteigerung, die das Gebäude nach dem Fall der Mauer erfuhr, nicht unwesentlich zum Überleben der taz bei.

Überhaupt war 1988 das Jahr der tatsächlichen und vermeintlichen Enteignungen. Ein Jahr nach dem Kreuzberger Aufstand vom 1. Mai 1987 wurde das Kubat-Dreieck besetzt. Es war benannt nach Norbert Kubat, der in Folge der Kreuzberger Randale festgenommen wurde und später in U-Haft Selbstmord begangen hatte. Die Besetzung offenbarte, wie grotesk das Leben in der Mauerstadt sein könnte. Das Lenné-Dreieck, wie der Streifen am heutigen Potsdamer Platz offiziell hieß, gehörte nämlich zur DDR, lag aber auf Westberliner Seite der Mauer. Bis zum geplanten Gebietsaustausch am 1. Juli 1988 durfte die Westberliner Polizei nicht räumen. So standen sich die Autonomen in der Mauerzeltstadt und die Polizei in einer von unsichtbarer Hand geordneten Phalanx gegenüber.

Unsichtbar war zunächst auch die Rolle der taz. „Massenflucht über die Mauer – in den Osten“ lautete die Schlagzeile am 2. Juli 1988, dem Tag nach der Räumung. 300 Besetzer wurden im Todesstreifen von Vopos empfangen – mit Kaffee und Kuchen. Das geschah nicht nur zum Ärger des Ostberliner Bürgerrechtlers Roland Jahn, der dazu im Berlin-Teil einen bitterbösen Kommentar schrieb. Organisiert soll den Trip nach Osten der taz-Mitarbeiter und das ehemalige „2. Juni“-Mitglied Till Meyer haben, der, wie sich später herausstellte, in Diensten der Staatssicherheit handelte.

1989–1990

Auf die andere Seite der Mauer ging es schließlich am 9. November 1989. Während der überregionale Teil der taz das Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung durchaus erkannte, wollte in der Berlin-Redaktion der Funke nicht so recht zünden. Statt mit der Rede von Günter Schabowski, dem Fall der Mauer und den Jubelszenen am Grenzübergang Bornholmer Straße aufzumachen, berichtete die taz-Berlin über eine Sitzung des Rechtsausschusses des Abgeordnetenhauses. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass einen Tag später das zweite Extrablatt der taz-Geschichte folgte. Der Titel: „Abschied von der Insel – Berlin sieht Land“.

Der Fall der Mauer brachte die taz auch nach Ostberlin. Am 26. Feburar 1990 war es so weit: Die erste Osttaz erschien, ausgerechnet dort, wo zuvor von den Machthabern in der DDR zahllose Einreiseverbote für tazler und tazlerinnen verhängt wurden: im Gebäude des ZK der SED, heute der Sitz des Auswärtigen Amtes. Osttaz, das hieß eigenständige Redaktion, eigenständiges Produkt oder, wie es der Spiegel formulierte, „die erste deutsch-deutsche Kooperation auf dem Zeitungsmarkt“. Und diese Kooperation hatte Erfolg. Bald konnte die Westtaz mit einer Auflage von 65.000 Exemplaren 70.000 Auflage im Osten dazugewinnen.

1990–1991

Keine Kooperation aber, die nicht auch mit Streit verbunden wäre. Der eskalierte im Juni 1990, als die taz einen 20-seitigen Sonderdruck mit den Anschriften aller 9.251 Wohnungen, Häuser und Dienstgebäude der Staatssicherheit veröffentlichen wollte. Die Westtazler waren dafür, die Osttazler dagegen. „Wir sträuben uns nicht gegen eine lückenlose Aufarbeitung der Vergangenheit“, sagte Ostgeschäftsführer Jürgen Kuttner. „Doch wir denken, dass uns diese Arbeit nicht von außen abgenommen werden kann.“ Die Sonderausgabe erschien dennoch, und mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 ging die deutsch-deutsche Zeitungskooperation ohnehin zu Ende – aus Kostengründen, wie es offiziell hieß.

Auch personell hatte sich in der Zwischenzeit viel getan. Seit Mitte der Achtzigerjahre hatte Gerd Nowakowski den Berlin-Teil übernommen, war dann aber ins Fadenkreuz der autonomen Szene geraten. Nachdem ihm sein Auto angezündet wurde, beschloss der Rest der taz-Belegschaft, Nowakowski aus dem Kreuzberger Verkehr zu ziehen – und ihn als Parlamentsberichterstatter nach Bonn zu schicken. Für den Berlin-Teil zeichneten in der Zeit vor und nach dem Mauerfall nun unter anderem Anita Kugler und Claus Christian Malzahn verantwortlich.

Anita Kugler war es auch, die der taz am 25. Mai 1991 eine Bombenstory lieferte. Nachdem die Brandenburger Polizei nicht auf Anwohnermeldungen reagierte, denen zufolge in Dallgow Panzerminen aus dem Zweiten Weltkrieg liegen, griff die taz-Redakteurin zur Selbstjustiz. Kurzerhand lud sie eine Panzermine in den Kofferraum ihres Autos und fuhr damit zur Polizeiwache am Kaiserdamm in Charlottenburg. Der Dienst habende Beamte auf der Wache fiel fast in Ohnmacht, als er hörte, worum es ging, und der Kaiserdamm war schnell gesperrt. So was nennt man noch heute eine Exklusivgeschichte.

1990-1991

Doch weiter zur Chronologie der politischen Ereignisse. Der rot-grüne Senat, diese Jahrhundertchance, wie es Hans-Christian Ströbele, damals Bundessprecher der Grünen und taz-Justitiar, formulierte, hielt nicht einmal anderthalb Jahre. Als der SPD-Innensenator Erich Pätzold am 14. November 1990 die besetzte Mainzer Straße in Friedrichshain räumen ließ, stieg die Alternative Liste aus dem Senat aus. Am 2. Dezember kam es zu Neuwahlen. Neuer Regierender wurde ein Altbekannter: Eberhard Diepgen (CDU). Der taz-berlin-Titel: „Das war’s, Walter Momper. Die WestberlinerInnen wählen das Diepchen zurück.“ Alter und neuer Ressortleiter der taz berlin war übrigens Gerd Nowakowski, der nach dem Fall der Mauer aus Bonn nach Berlin zurückkam.

Mit Eberhard Diepgen kehrte auch der Größenwahn in die Berliner Politik zurück. Überdimensionierte Bevölkerungsprognosen und europäische Metropolenfantasien führten zu überdimensionierten Planungen, wie zum Beispiel am Potsdamer Platz. „Hassemer geht auf hundert“, heißt es in der taz vom 11. Dezember 1991. Der CDU-Stadtentwicklungssenator, der noch zuvor den „Tiger reiten“, sprich die Investoren zähmen wollte, hatte da gerade Hochhäuser in besagter Höhe genehmigt.

1991-1995

Größenwahnsinnig war auch die Berliner Olympiabewerbung. Als am 23. September 1993 schließlich die Stunde der Wahrheit schlug, entsandte die taz gleich zwei Reporter zur entscheidenden 101. Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees in Monte Carlo. Einer von ihnen, Uwe Rada, musste seine Berichterstattung freilich unterbrechen. Kaum in Monaco angekommen, hatte ihn die monegassische Polizei festgenommen, wegen angeblicher Spionage.

Peinlich nur, dass zu seiner Vernehmung auch ein Berliner Staatsschützer erschien. „Dubiose Festnahme eines taz-Reporters in Monaco“ hieß es am 21. September auf der überregionalen Seite 1. Einen Tag später machte der Berlin-Teil mit der Schlagzeile auf: „Monaco: Berliner Polizei im Zwielicht.“ Der Auslandseinsatz der Schlapphüte hatte später sogar ein Nachspiel im Berliner Abgeordnetenhaus. Schließlich wurde Rada nur festgenommen, weil der Berliner Staatsschutz die Monegassen wissen ließ, dass in Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen ihn lief. Ein Republikaner, über den er berichtete, hatte Anzeige wegen Verleumdung gestellt.

Mit dem Ende der Mainzer Straße und der Olympiabewerbung rückte die Berliner Senatspolitik wieder stärker in den Vordergrund der Berichterstattung. Zumal am 22. Oktober 1995 die große Koalition unter Eberhard Diepgen erneut zur Wahl stand. Um den Diepgen-Herausforderer zu küren, hatte die SPD erstmals eine Mitgliederbefragung organisiert. Zur Wahl standen Walter Momper und die SPD-Sozialsenatorin Ingrid Stahmer. Als sich Stahmer am 5. Februar 1995 durchgesetzt hatte, titelte die taz berlin: „Farbe Lila gegen CDU“. Genutzt hat es allerdings nichts. „SPD liegt deutlich über fünf Prozent“, titelte die taz nach der Wahl am 22. Oktober. Stahmers SPD war auf 23 Prozent abgesackt. Diepgen blieb Regierender, Stahmer wurde zur Strafe Schulsenatorin.

1995

Das Jahr 1995 war für Eberhard Diepgen aber nicht nur ein gutes Jahr. Und das hatte unmittelbar mit der taz zu tun. Noch vor der Wahl schrieb der Rathausreporter Dirk Wildt am 5. April einen Beitrag mit der Überschrift: „Lufthansa bezahlt Diepgens Wahlkampf“. Geschildert wird eine Reise Diepgens in die Volksrepublik China, von der er zur Freude der Berliner Boulevardpresse eine Panda-Bärin mitbrachte.

Mit von der Partie waren 12 Journalisten, denen die Airline den Flug gespendet hatte. Die Kosten beliefen sich auf schlappe 80.000 Mark. Pech für Diepgen: Nicht die Lufthansa hatte die Journalisten ausgesucht, sondern Diepgens Sprecher Michael-Andreas Butz. Die taz klagte – und hatte Erfolg. Sechs Monate später entschied das Verwaltungsgericht: Das Sponsorung von Medien ist rechtswidrig. Bei weiteren Recherchen ergab sich, dass Diepgen insgesamt 62 In- und Auslandsflüge an seine Hofberichterstatter geschenkt hatte.

1996–1999

Eine Schlappe musste 1996 auch die SPD in der großen Koalition hinnehmen. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hatte für den 29. November seinen Masterplan alias Planwerk Innenstadt angekündigt. Doch dazu kam es nicht. Der Grund: die taz hatte ihn schon vorher unter dem Titel „Barocke Häuschen am Alex“ veröffentlicht. Auf eine Abbildung dieser „Rückkehr ins 19. Jahrhundert“ mussten die LeserInnen allerdings verzichten. Der Grund: Die Informantin, die der taz den Plan zugespielt hatte, sollte geschützt werden. Stattdessen zeichnete ein Redakteur der taz den Plan von Hand nach – im Rückblick betrachtet eine genauso große ästhetische Katastrophe wie der Masterplan selbst.

Das genaue Gegenteil von Ästhetik war die zunehmende Spaltung der Berliner Stadtteile in Arm und Reich. Als Erster erkannte dies nicht Strieder, sondern Eberhard Diepgen, der im Februar 1998 seine erste „Innenstadtkonferenz“ ins Leben rief. Nur über die Probleme zu reden, fand die taz aber doch zu wenig. Sie titelte: „Plakative Show-Aktivität“. Zur Doppelmoral der CDU gehörte nämlich auch, dass der neue Innensenator – Jörg Schönbohm – zur gleichen Zeit einen Zuzugsstopp für Ausländer verhängte. Apropos Schönbohm: Der Exgeneral war immerhin mutig genug, der Berlin-Redaktion einen Antrittsbesuch abzustatten. Das hatte noch kein Innensenator fertig gebracht. Richtig sauer war damals Gereon Asmuth, damals noch Hausbesetzer, heute Ressortleiter der taz berlin und damit einer der Nachfolger von Gerd Nowakowski, der 1998 die taz in Richtung Tagesspiegel verließ.

Überhaupt war das in dieser Zeit ein Kommen und Gehen. Das größte Gehen war wohl der Abgang von Helmut Kohl bei den Bundestagswahlen 1998, das größte Kommen war zweifelsohne der Regierungsumzug. Am 24. August 1999 schlagzeilte die taz: „Schröders Raumschiff ist gelandet“.

1998–2001

Pünktlich zum Umzug von Parlament und Regierung an die Spree rüstete sich auch der Berlin-Teil. Am 2. Oktober 1998 war es schließlich so weit: Erstmals erschien in der taz eine überregionale Berlin-Seite. Damit war die taz ein Trendsetter, dem auch andere folgten – die Frankfurter Rundschau zum Beispiel und die Süddeutsche Zeitung. Anders geklaut hat dagegen die FAZ. Auch sie gab neue Berlin-Seiten heraus, allerdings nur in Berlin, wohl aber inspiriert vom schrägen und durchdringenden Blick der taz auf die Stadt.

Der Berlin-Hype war auch ein Ausdruck um die neue Rolle der Stadt in der „Berliner Republik“. Da kamen ehedem überzeugte Münchner gleich scharenweise ins preußische Berlin, und der Schwabenanteil rund um den Kollwitzplatz wuchs und wuchs wie heute kleine Kinder in den Bäuchen der Schwabenmütter. Doch nicht immer dankte die Stadt das Engagement ihrer Gönner. Vor allem nicht, wenn sie aus dem Rheinland kamen. So ließ die taz am 4. November 1999 die Nachrichtenagentur dpa zu Wort kommen: „Nach dem Anschlag auf die Weinhandlung des Bonner Prominentenwirtes Friedhelm Drautzburg in Berlin ermittelt nun der Staatsschutz. Drautzburg betreibt das Kölsch-Lokal Ständige Vertretung, Treffpunkt für Bonner.“

Doch nicht nur Autonome konnten den Berlin-Hype nicht nachvollziehen, sondern auch viele taz-Leser. „Nu is aber mal gut“, schrieb uns die Leserin Magdalene Thöne aus Dortmund. Vielleicht hat sich die taz diese Mahnung zu sehr zu Herzen genommen. Drei Jahre nach ihrer Einführung wurde die überregionale Berlin-Seite 2001 wieder eingestellt. Ressortleiterin Barbara Junge schmiss darüber das Handtuch. Ach ja: Auch die FAZ zog wieder nach und stellte zwei Jahre später gleich ganz ihre Berliner Seiten ein. Immer alles nachmachen – mit der Ausnahme, dass es uns heute noch gibt. Ätsch!

2001

Wie der 9. November 1989 hat auch der 11. September 2001 seine Schatten nicht vorausgeworfen, doch anders als beim Fall der Mauer hat der Berlin-Teil auf die neuerliche historische Zäsur reagiert. Einfach war das freilich nicht. Der Chef vom Dienst war noch mit dem Redigieren der hinteren Seiten beschäftigt, als die Meldungen über die Terroranschläge in New York kamen. Alles Drängen, ihn zu einer Stehkonferenz zu bewegen, wies der CvD von sich: „Was hat das denn mit uns zu tun?“, fragte er sich und widmete sich wieder den hinteren Seiten. Erst als der Berliner Senat im Roten Rathaus zu einer Sondersitzung zusammenkam, wachte unser CvD auf. Wir haben dann doch noch zwei Seiten zum Thema gemacht. Der Aufmacher hatte den Titel: „Anschläge in New York schocken Berlin“. Nur der CvD, ließe sich hinzufügen, hat die Ruhe bewahrt.

Das zweite wichtige Ereignis des Jahres in Berlin hatte bereits am 16. Juni 2001 stattgefunden. „Diepgen stürzt per Knopfdruck“ titelte die taz über jene denkwürdige Sitzung des Abgeordnetenhauses, in der die SPD aus der Koalition mit der CDU ausscherte und das „Diepchen“ nach dem Bankenskandal in die Rente schickte. Zehn Jahre lang aber hatten die Sozis nichts dagegen gehabt, die Stadt an dubiose Anleger zu verkaufen. So war es wohl eher der Machtdrang eines Klaus Wowereit, der Berlin weitere Diepgen-Jahre ersparte, als die „politische Hygiene“ bei der SPD, bei der viele selbst zu den Anlegern der Skandalfonds gehörten. Höhepunkt der taz-Berichterstattung dieses Jahres war der Landowsky-Starschnitt. „In 31 Tagen ist er fertig“, titelte die taz am 11. April und druckte fortan täglich einen Schnipsel des CDU-Paten zum Sammeln. Bankchef Klaus Landowsky, laut taz „der letzte große Westberliner“, hielt sich an die Vorgabe und trat 31 Tage später als Fraktionsvorsitzender zurück. Selten war die taz so präzise.

2001–2004

Auf die Diepgen-Ära folgte vor den Neuwahlen im Oktober der rot-grüne Übergangssenat unter Klaus Wowereit. Damit kamen endlich auch jene Grünen in den Genuss der Macht, die es bis dahin noch nicht in die Bundespolitik geschafft haben – allen voran Justizsenator Wolfgang Wieland. Als es mit dem Sommersenat dann zu Ende ging, versprach Wieland der taz-Berlin das Interview über den Umgangston des Regierenden Bürgermeisters mit seinen Senatskollegen. Leider hat Wieland uns das Interview nie gegeben.

Der Umgangston aber soll geblieben sein. Auch unter Rot-Rot, das seit Dezember 2001 regiert und vor allem beim Westberliner Tagesspiegel Ängste vor dem Untergang des Abendlandes hervorgerufen hat. Etwas lockerer wurde Wowereit immer dann, wenn er Party feiern durfte, und das hat er seit seiner Wahl ausgiebig getan. Legendär sein Auftritt in Mexiko mit Sombrero: „Hossa! Hossa!“, titelte die taz nach seiner Rückkehr aus dem Land der Azteken und veröffentlichte das bis dahin unbekannte Reisetagebuch des Regierenden. Nachdenklich stimmte der Eintrag: „14 Stunden Flug. 7 Stunden Zeitverschiebung. Egal: Nach zwei Corona-Bieren ist der Jetlag weg.“ Zu Wowereits Ehrenrettung muss man sagen: Dieser Mann weiß nicht nur zu feiern, er hat auch den nötigen Willen für die Abmagerungskuren danach.

Mit Rot-Rot kam nicht nur ein radikaler Sparkurs auf die Berliner zu, sondern auch der Beschluss, den Palast der Republik abzureißen und das Stadtschloss wieder aufzubauen. Einer hat das alles nicht mehr im Amt erleben dürfen: Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, dem das Tempodrom zum Verhängnis wurde. Seine Demission von allen Ämtern kam mit der taz-Schlagzeile „Vier Rücktritte in fünf Minuten“. Die Rücktrittserklärung liegt noch heute auf dem Schreibtisch des zuständigen Redakteurs.

2004 bis morgen

Wer eine Chronologie über Berlin und seine taz verfasst, darf über das Kinderkriegen nicht schweigen. Kinder in der Berlin-Redaktion haben zuletzt bekommen: Sabine am Orde, Rolf Lautenschläger, Stefan Alberti, Philipp Gessler, das von Richard Rother ist auf dem Weg. Die Kinderlosen sind längst in der Minderheit, schreiben Bücher oder werden wie Gereon Asmuth Chef.

Nicht schweigen darf man aber auch, wenn man von der Kochstraße redet. Die nämlich gehört – und das ist vielleicht das größte Verdienst der Berlin-Redaktion – der Vergangenheit an. Geboren (sic!) wurde die Idee einer Rudi-Dutschke-Straße von Gereon Asmuth und Thilo Knott. Schnell waren Bündnisse geschmiedet, die Umbenennung ließ nicht lange auf sich warten. Am 31. August 2005 war es beschlossen. Die Schlagzeilen lauteten „Rudi Dutschke ist zurück auf der Straße“ und „Wir sind Straße“. Letzteres war „verboten“.

Welche Geburten stehen uns in Zukunft ins Haus? In die Rudi-Dutschke-Staße 23? Wird Berlin tatsächlich wieder ein Paradies, wie es auf diesen Seiten heißt, ein Paradies für neue Lebenskünstler? Oder ist die soziale Spaltung größer, als dass sie mit einem neuen, wilden Kapitalismus überwunden werden könnte? Diese Fragen hat sich die Redaktion im September letzten Jahres in einem Schloss gestellt – bei einer Klausurtagung in Genshagen. Herausgekommen war der Wille, die Themen der Stadt nicht mehr einzeln zu beschreiben, sondern zu „clustern“. Aging stand zum Beispiel für das Älterwerden im Wohnen, bei Migranten und unser Älterwerden selbst. Soziale Stadt sollte die Frage nach dem bürgerschaftlichen Engagement neu definieren. Wir müssen zugeben: Der Geist von Genshagen war ein Schlossgespenst. Der Alltag hat uns wieder eingeholt – wie er auch die Stadt immer wieder einholt. So war das schon 1980 und so wird es auch in den nächsten 25 Jahren sein. WERA