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Archiv-Artikel

Bethaus vor Abriss

Der radikale spanische Künstler Santiago Sierra kommt in die Synagoge Stommeln und verrät nicht, was er plant

Er legt in Metropolen den Verkehr lahm. Er zahlt dafür, Endlos-Streifen auf Arbeitslose tätowieren zu dürfen und manchmal mauert er einen Kunsttempel einfach zu. Für das spanische Kunst-Enfant terrible Santiago Sierra (39) ist Geld „eine Macht die keine Grenzen kennt und die andere tun lässt, was immer man will“. Jetzt plant der zurzeit weltweit gefragte Star eine provokante Arbeit für die Synagoge Stommeln im rheinischen Pulheim.

Abreißen wird Sierra, der seit einem Jahrzehnt in Mexico City lebt, das ehemalige jüdische Bet- und Lehrhaus wahrscheinlich nicht. „Er wird es auch nicht zum Einsturz bringen“, bestätigt Angelika Schallenberg, Kulturamtsleiterin der Stadt Pulheim der taz. Immerhin hatte Sierra 2004 im Kunsthaus Bregenz den Boden mit 300 Tonnen Beton so nah an der Grenze der Statik belastet, dass nur noch höchstens zehn Besucher das Haus betreten durften. In Österreich wurde die Besichtigung so zu einem emotionalen Prüfstein. „Auch in der Synagoge werden die Reaktionen der Besucher entscheidend sein“, sagt Schallenberg. Es werde ein intensives Live-Erlebnis werden, keine dokumentarische Arbeit. Mehr dürfe sie nicht verraten. Der Künstler wolle sein Konzept erst einen Tag vor der Eröffnung im März erläutern.

Seit 1991 findet in der Synagoge Stommelen einmal jährlich eine Ausstellung eines international angesehenen Künstlers statt. Richard Serra, Georg Baselitz und Rebecca Horn haben dort schon gearbeitet, auch Rosemarie Trockel, zuletzt der amerikanische Minimalist Sol LeWitt. „Denkmal im Wandel“ heißt das Kunst-Projekt, das mit zeitgenössischer Kunst zur Offenheit, Toleranz und Respekt vor der Würde des Menschen mahnen will.

Auch Santiago Sierra thematisiert in seinen provozierenden Arbeiten (Rücksichtslosigkeit als Prinzip) immer wieder soziale Ungerechtigkeit und die Degradierung des Menschen zur bloßen Arbeitskraft. Dafür gerät er weltweit auch gern mal in Konflikte mit dem Gesetz, mit Museumsleitern, einzelnen Besuchern und öffentlichen Ordnungshütern. PETER ORTMANN