: Besuchsernteberichterstattung
■ Das Neue Deutschland versucht, sich mit seiner Honecker–Berichterstattung endlich unparodierbar zu machen / Begeisterte Feierlichkeit und endloses Name–Dropping
Folgt man dem Neuen Deutschland in diesen Tagen, dann ist die Honecker–Reise eine weltpolitische Wende. Jeweils die ersten fünf bis sechs Seiten des ND sind diesem Ereignis gewidmet unter der gemeinsamen Rubrik „Offizieller Besuch Erich Honeckers in der BRD“. In der Donnerstagsausgabe darf man 22, in der Freitagsausgabe gar 23 Honeckerfotos betrachten. Jede Tischrede ist dokumentiert, jeder Stein gewürdigt, den der große Generalsekretär betrat. Doch es ist keine Detailflut; die Details bekommen vielmehr Noten und ihre Plätze im Zeremoniell. Wenn die Trierer Bürger nur „Grüße entboten“, heißt das, es gab auch Gegendemonstranten; die Wiebelskirchener „entboten“ hingegen „Willkommen.“ Mit Berhard Vogel gab es nur ein „Beisammensein“, mit Oskar Lafontaine ein „herzliches Willkommen“. Der sicherlich bewegende Besuch in seinem Geburtshaus wird fast dürftig abgehandelt, während die Visite in der ehemaligen Krupp–Residenz mit begeisterter Feierlichkeit unter dem Titel „Stunden angeregter Gespräche mit Persönlichkeiten in der Villa Hügel“ gewürdigt wird. Neben der allgemeinen politischen Thematik hat die Berichterstattung zwei Haupttendenzen: den beinahe gesamtdeutschen Anspruch einer ungebrochenen antifaschistischen Tradition, die vom Saarland bis zur Hauptstadt der DDR reicht. Der Besuch hat fast den Charakter eines DDR–Exports in Sachen Arbeiterbewegung. Das andere Element: die beinahe höfische Feier der Begegnung mit bundesdeutschen Industriellen. Den Vogel schießt dabei ein dreispaltiger Artikel unter der Überschrift „Generaldirektoren unserer Kombinate sprachen mit Industriellen der BRD“ ab: Er beginnt mit acht Zeilen Text, und dann folgen 51 Namen aus dem gesamtdeutschen „Who is Who“ der Wirtschaftsführer. Worüber sie verhandelt, erfährt man mit keinem Wort. Die verbale Sensation der Honecker–Reise - sein Eingeständnis, daß die deutschen „Grenzen nicht so sind, wie sie sein sollten“ wird dagegen eher nebenbei, in einem Artikel über Neunkirchen (“Wiedersehen mit alten Bekannten, Freunden und Kampfgefährten“) abgehandelt. KH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen