: Besuch aus weiter Ferne
Wenn Proficlubs im Rahmen des DFB-Pokals bei Amateuren antreten, besichtigt der Fußball seine eigene Geschichte. Dementsprechend wird der VfB Stuttgart am Sonntag beim FC Hansa Lüneburg die älteste noch genutzte Holztribüne der Republik antreffen. Und einige Ehemalige, die mal Stars waren
VON ROGER REPPLINGER
Wenn die Spieler des VfB Stuttgart am Sonntag am frühen Nachmittag ihre Jacketts mit dem Vereinsemblem in der Kabine im Stadion am Wilschenbruch an die Kleiderhaken hängen, werden die rhinologisch geschulten unter ihnen etwas leicht Stechendes riechen: frische Farbe. Am Donnerstag steckten in den Farbeimern die Pinsel, und die Bänke hätten auf den dunklen Hosen von Lehmann, Gomez und Hitzlsperger graue und blaue Streifen hinterlassen. Bis Sonntag ist die Farbe so trocken wie ein guter schwäbischer Spätburgunder. Nur riechen wird sie nicht so gut.
Der FC Hansa Lüneburg hat sich hübsch gemacht fürs DFB-Pokalspiel vor der Pflichtspiel-Rekordkulisse vor 8.500 Zuschauern – davon etwa 600 aus Stuttgart. In den frühen fünfziger Jahren, als Lüneburg mit dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli in der Oberliga Nord kickte, kamen auch so viele Zuschauer ins Stadion. Gegen Seeler und Co. schaffte Lüneburg ein 1 : 1, aber abgestiegen ist man dann doch.
Die Anlage des FC Hansa liegt in einem Naturschutzgebiet, drum herum Villen. Als wir uns hoffnungslos im Wald verirren, erklärt eine Joggerin den Weg: „Sie müssen rechts, dann in den kleinen Weg. Es gibt keine Schilder, die haben hier kein richtiges Stadion.“ Die Holztribüne, auf der wir dann mit dem Ersten Vorsitzenden Wolfgang Bubolz sitzen, ist aus dem Jahr 1921. Die älteste noch bestehende und benutzte in Deutschland.
Wenn Proficlubs im Rahmen des DFB-Pokals bei Amateuren antreten, dann besichtigt der Fußball seine eigene Geschichte. Am 1. April 1901 gründeten Gymnasiasten des Johanneum, ältestes Gymnasium der Stadt, mit Kaufleuten und Handwerkern den Lüneburger Fußball-Club. Elf Jahre später wurde der LFC in Lüneburger Sport-Klub von 1901, kurz LSK, umbenannt.
Rainer Zobel kam von Uelzen und hat 1976 / 77 hier gespielt, nachdem er mit Bayern München alles gewonnen hatte, was es im Weltfußball zu gewinnen gab. Beim LSK kickte er zusammen mit Wolfgang Bubolz. Zobel hat hier 1987 / 88 seine Trainerkarriere begonnen, im Moment ist er bei Dynamo Tiflis in Georgien.
Mittelfeldspieler Ralf „Ralle“ Sievers hat hier gespielt, bevor er zu Eintracht Frankfurt ging, 1988 Pokalsieger wurde, dann beim FC St. Pauli kickte und nun Trainer in Lüneburg ist. Im Zivilberuf ist er Industriekaufmann bei einer Gleisbaufirma am Ort. Inzwischen heißt der Club FC Hansa, weil die Fußballabteilung des LSK mit Schulden in Millionenhöhe pleite ging. „Der Spielbetrieb war nicht mehr gesichert“, sagt Bubolz. Das Gelände am Wilschenbruch, in den fünfziger Jahren für 48.000 Mark vom Verein erworben, war mit Hypotheken belastet. Dann wurden die LSK-Fußballer mit denen des SV Lüneburg fusioniert, um die Lizenz für die Oberliga zu behalten. Und Speditionskaufmann Bubolz, 56 Jahre alt, wurde Vorsitzender: „Sie wissen doch, wie das läuft. Einer muss es machen, und ich war nicht schnell genug weg.“ Viele haben hier gespielt. Manche auf dem Weg nach oben, manche nach unten: Horst Blankenburg, der in den siebziger Jahre bei Ajax Amsterdam Libero spielte, dann HSV, dann Hummelsbütteler SV und LSK. Jörg Sievers, Bruder von Ralf, stand hier im Tor, bevor er zu Hannover 96 ging, Pokalsieger 92, damals noch als Zweitligist.
Detlef Olaidotter, Marinus Bester, Jens „Gerdl“ Scharping haben für Lüneburg gespielt, Patrick Owomoyela. Der letzte, der es ins Profilager geschafft hat, war Fabian Stenzel, 21, der für Rot-Weiß Erfurt in der Dritten Liga aufläuft. Bubolz hat mal ein Probetraining beim FC St. Pauli gemacht. Muss Anfang der siebziger Jahre gewesen sein. Deshalb hat Bubolz einen Vergleich, was die Nassräume anbelangt. Die alten Pauli-Duschen und Kabinen genossen ja einen gewissen Ruf. „Unsere“, behauptet Bubolz, „sind viel besser.“ Es gibt zwar nur vier Duschköpfe, aber bei Pauli habe es nicht immer warmes Wasser gegeben, eigentlich nie, das sei bei Lüneburg anders. Dafür hatte Pauli eine Sauna. „Das stimmt“, sagt Bubolz.
In Lüneburg tragen die Spieler im Training die Trikots ihrer Idole. So weit sind die weg. Felix Beck, zentraler Mittelfeldspieler, einer der besten im Kader, macht in einer Fischfabrik eine Ausbildung. Er vertrat sich am Donnerstag beim Training den Fuß und musste ins Krankenhaus. Zu „Beckham“, dessen Trikot er trägt, fehlt ihm eine Silbe. Und etwas Victoria. Raphael Staffeld, Kapitän und Innenverteidiger, ist Speditions-Kaufmann; Torben Tutas ist Destillateur in Bad Bevensen; Daniel Stäcker macht Zivildienst; Mike Kruse ist gelernter Zimmermann und schult auf Physiotherapeut um. “Die Jungs sind angespannt“, sagt Trainer Sievers. So viele Zuschauer, das Fernsehen, die Gegenspieler. Wegen des Pokals beginnt die Saison in der Oberliga Niedersachsen für Lüneburg nicht morgen gegen beim TuS Heeslingen sondern am Sonntag, den 17., mit einem Heimspiel gegen den Goslarer SC 08. Die Goslarer werden sich über die Kabinen wundern.