Besuch auf der Alb: Affentheater auf der Rinderweide
Ernst Hermann Maier weigert sich, seinen Rindern eine Marke ins Ohr zu stanzen. Das verstößt gegen EU-Regeln. Mit den Behörden liegt er im Clinch.
BALINGEN-OSTDORF taz | In Ostdorf dämmert der Abend. Der Bauer Ernst Hermann Maier steigt auf dem Heimweg von der Rinderweide an einer Wegbiegung noch einmal aus seinem Bus aus. Er watet in ein Wasserloch – seine „Stiefelwaschanlage“. Er wird nachdenklich, unterbricht seinen Redefluss über Briefwechsel mit Behörden, Schikanen der Veterinäre, über Tiersklaverei und würdevolles Sterben. „In einer Diktatur hätte man mich schon längst eliminiert“, sagt er.
Maier ist ein drahtiger Mann, 71 Jahre alt. Er ist kleiner, dünner und hat eine höhere Stimme, als man sie von einem Bauern erwartet. Er trägt eine Schildmütze – egal ob er auf der Weide oder im Fernsehen ist. Er hält 260 Uria-Rinder und behandelt sie so, wie er es für richtig und würdig hält. Nicht so, wie die Behörden es vorschreiben.
Neuerdings kämpft er gegen Ohrmarken für Rinder, von der EU nach der BSE-Krise Ende der 90er Jahre verordnet zum Zweck der Lebensmittelsicherheit. Der Bauer müsste die gelben Plastikschilder neugeborenen Kälbern in die Ohren einstanzen. „Das ist doch pervers und unwürdig, wenn man Tiere mit Schildern markiert wie Autos“, sagt er. Die Kälbchen würden dabei erbärmlich schreien, und bei erwachsenen Tieren könnten die Marken ausreißen und das Tier verletzen. Also widersetzt Maier sich. 13 Jahre ist das gut gegangen.
Die Urform des Rinds
Vor rund zwei Jahren wurden die Maiers mit einem anonymen Brief beim Landwirtschaftsministerium angezeigt. Ca. 30.000 Euro EU-Gelder wurden zur Strafe nicht ausbezahlt. Doch Maier beugt sich nicht. Er hat schon einmal einen aussichtslos scheinenden Kampf gegen die Behörden gewonnen: Er hat sich die Erlaubnis erstritten, seine Tiere auf der Weide zu erschießen.
Im Bauernhaus an der Dorfstraße in Ostdorf oder Auschdorf, wie es im Dialekt heißt, ist Maier schon aufgewachsen. Heute lebt er mit Frau und zwei erwachsenen Kindern dort. Tochter Annette, 43, hat Landwirtschaft studiert. Ihr Vater riet ab, doch gute Ratschläge von oben zu ignorieren hat sie von ihm gelernt. Heute gehört ihr der Hof.
Die Maiers sind Biolandbetrieb und züchten besondere Rinder. Uria nennt Ernst Hermann Maier die Rasse. Wie das Ur, die Wildform des Rindes. Sie tragen Hörner, kämpfen ihre Hierarchie selber aus, säugen ihre Kälbchen, solange die es wollen, und paaren sich mit dem Artgenossen, der ihnen sympathisch erscheint. Sie leben im Freien, auch im Winter.
Der Schlachthof - „eine Tortur“
Wegen der Uria-Herde sind schon mehrere Forscher nach Ostdorf gekommen. Das Volk sei ein vermutlich einzigartiges Studienobjekt, heißt es in einem Gutachten von Christoph Maisack, stellvertretender Landesbeauftragter für Tierschutz. Die Uria-Rinder haben sich unter den gewährten Freiheiten aus normalem Fleckvieh entwickelt, das Maiers Vater konventionell gehalten hatte.
Vor 28 Jahren erlebte Maier beim Transport eines Rindes zum Schlachthof schreckliche Szenen. Das Tier schrie und wehrte sich. „Eine Tortur.“ Maier beschloss an diesem Tag, kein einziges Rind mehr lebend in den Schlachthof zu bringen. Seine Herde wuchs deshalb von 50 auf über 200 Tiere an. Maier war dann irgendwann pleite. Ein Rinderzüchter, der nicht schlachtet? Viele Kollegen hätten damals den Kopf über ihn geschüttelt.
Heute bringt er den Schlachthof zum Tier: eine Alubox, die hinten am Traktor hängt, patentiert und nach 20-jährigem Streit mit den Behörden seit 2010 genehmigt.
Mit dem Schalldämpfer
Maier tötet die Tiere auf der Weide. „Es ist doch ein legitimes Anliegen, ein Tier sanft vom Leben zum Tod zu befördern.“ Wenn die Rinder gemütlich im Gras liegen, setzt der Bauer sein Jagdgewehr beinahe auf den Rinderschädel auf und drückt ab. Schallgedämpft, fast lautlos schickt er das Tier „zur Mutterkuh“, ins Jenseits für Rinder, bevor es im Diesseits auf dem Teller landet. Das Tier, betäubt durch den Kopfschuss, hebt er mit einer Seilwinde in die mobile Schlachtbox er schneidet ihm die Halsschlagadern auf und lässt es ausbluten. Zur Verwertung transportiert Maier es auf seinen Hof.
„Mir macht das Schlachten keine Freude. Ich muss da meine Freunde töten“, sagt Maier. Ein Fernsehteam hat ihn mal dabei gefilmt. Beim anschließenden Interview traten Maier Tränen in die Augen.
Zwei Tiere pro Woche schlachtet er im Schnitt. Das Fleisch verkauft er in seinem Hofladen. Mit dem VW-Bus fährt Maier mehrmals täglich hinaus zu den Rindern. Er hängt den Elektrozaun aus und geht durch die Herde, verwöhnt die Tiere mit Äpfeln, spricht mit ihnen, sieht nach dem Rechten. „Ich muss in der Herde präsent sein. Ich kann nicht nur zum Schießen kommen“, sagt er.
Transponder an der Schwanzwurzel
Im Ohrmarkenstreit ist Maier auch deshalb so stur, weil sein ganzes Konzept gefährdet ist. „Wenn man verlorene Ohrmarken bei erwachsenen Tieren neu einstanzen muss, ist das ein Affentheater“, sagt er. Der Landrat, der ihm die Ausnahmegenehmigung erteilt hat, sieht sogar Lebensgefahr für Maier, wenn der seinen „verwilderten Tieren“ Ohrenmarken einziehen müsste. Maier sagt: „Durch das Einstanzen der Ohrmarken wird das Vertrauen zwischen Mensch und Tier schon in den ersten Lebenstagen nachhaltig gestört.“ Wenn sie ihm nicht mehr vertrauen würden, käme er nicht mehr so nah an die Tiere heran, wie es zum Schießen notwendig ist. Und anders will er seine Tiere nicht schlachten.
Europa schreibt die Ohrmarken bei Schlachttieren vor, weil Tiere auch nach dem Verkauf zweifelsfrei erkannt werden müssen. Doch Maiers kaufen und verkaufen keine lebenden Tiere.
Maiers Rinder haben Namen. Amber zum Beispiel. Oder Schneeflocke. Er sagt, er erkenne sie zweifelsfrei. Jeder andere kann sie mit einem Lesegerät, das aussieht wie eine große Lupe, identifizieren. Maier setzt den Tieren einen reiskorngroßen Transponder an der Schwanzwurzel ein. Pferde werden so markiert. Und Kampfstiere. Das ist für Maier der Gipfel: „Stierkämpfe sind die größte Sauerei, die auf unserem Kontinent passieren. Und dort darf man die Marken weglassen?“
Werner-Bonhoff-Preis 2014
Man sagt den Älblern nach, sie seien eigensinnig. Maier widersetzt sich, wenn ihm sein Verstand einen anderen Rat gibt. Nicht bockig. Eher hartnäckig, oft mit feiner Ironie. Über seine Widersacher in der Veterinärverwaltung sagt er: „Ich kenne die doch auch, wenn sie aus dem Auto aussteigen, ohne dass sie ein gelbes Schild im Ohr tragen.“
Paragrafenreiter verachtet Maier. Er amüsiert sich, wenn die Veterinäre aus ihren Büros kommen und bei ihm die Tiere zählen wollen, wie zuletzt vor Weihnachten. Wenn sie Angst haben vor den freilaufenden Rindern, die nicht wie in anderen Ställen nur durch ein Treibgatter geschickt werden müssen. Im Büro des Hofes füllt Schriftverkehr mit Amtsstuben in Balingen, Tübingen und Stuttgart mehrere Ordner. Genug, um für den Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2014 nominiert zu werden. „Es ist manchmal schon lustig, wenn die übermächtige Behörde versucht, einen plattzumachen, und es doch nicht schafft“, sagt er. Seiner Frau zerrten die Auseinandersetzungen an den Nerven. „Aber ich kann nicht anders.“
Maier hat verstanden, dass er mit Öffentlichkeit Druck ausüben kann. Er hat ein Buch geschrieben, „Der Rinderflüsterer“, und hat den Verein Uria e. V. gegründet. Von den Grünen an der Regierung hatten die Maiers Unterstützung erhofft. „Aber nichts von alledem ist eingetreten“, sagt Annette Maier. Obwohl der tierschutzpolitische Sprecher der Grünen im baden-württembergischen Landtag, Reinhold Pix, Maiers Betrieb als Leuchtturm bezeichnet hat, den man nicht schleifen dürfe. Pix hat eine Landtagsanfrage zu Maiers Problem gestellt, hat es in Ausschüssen und im Landwirtschaftsministerium vorgetragen. Dort habe es hohen Stellenwert, lässt er mitteilen.
Das Ministerium intervenierte
Das Landwirtschaftsministerium hat im September die Rücknahme aller Ausnahmegenehmigungen im Land angeordnet. Baden-Württemberg müsse Strafen in Millionenhöhe fürchten, wenn es die Missachtung der EU-Kennzeichnungspflicht toleriere. Minister Alexander Bonde (Grüne) sagte kürzlich bei einem Bürgergespräch zu Maier: „Das, was Sie sich wünschen, liegt weit außerhalb dessen, was die Landesregierung machen kann – EU-Gesetz ist eben EU-Gesetz.“
Bondes Ministerium verweist darauf, dass man alles Mögliche versucht habe. Eine Bundesratsinitiative Baden-Württembergs, die Erlaubnis elektronischer Kennzeichnung auf europäischer Ebene zu fordern, ist gescheitert – nur Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatten zugestimmt. Maier hätte gern vorab in den Bundesländern für seine Sache mobilisiert, erfuhr aber erst kurzfristig von der Initiative.
Das Veterinäramt in Balingen, das jahrelang die Augen zugedrückt hat – machtlos angesichts des Drucks aus dem Ministerium. Amtsleiterin Gabriele Wagner sagt: „Mir schlagen zwei Herzen in einer Brust.“ Einerseits funktioniere Maiers Transpondermarkierung bislang einwandfrei, meint sie. „Andererseits muss er sich, wenn er Geld von der EU will, an deren Spielregeln halten.“
Lebensmittelkontrolle geht vor
Auch die Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle hat in Maiers Mission an die EU-Landwirtschaftskommission geschrieben – auch dort Kopfschütteln. Die Rückverfolgbarkeit von Fleisch, also die Lebensmittelsicherheit, stehe eben über dem Tierschutz. Ein Transponder könne im Fleisch wandern und nicht mehr lesbar sein. „Politik ist ein schwerer Dampfer“, sagt Jeggle.
Vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen streiten Maiers derzeit dafür, dass sie ihre Ausnahmegenehmigung behalten dürfen. „Niemand traut sich aufzumucken, weil alle unter der Knute der Fördermittel stehen“, sagt er. Doch Maier gibt keine Ruhe. „Wir werden bohren und arbeiten, bis das Ding durch ist“, sagt er. „Es kann doch nicht sein, dass Schwachsinn obsiegt.“
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