Besondere (Sende)Zeiten

■ Vom einst gelobten Wahlspotverzicht in Niedersachsen ist keine Rede mehr

Paula Plastik, Marianne Mülllawine und Alfred Aluminium haben heute abend einen schweren Stand. Klara Klarwasser, Timo Tierlieb und Ursel Umwelt setzen ihnen nämlich mächtig zu. Titel des Kurzfilm-Dramas: „Stoppt die Müllawine“. Fernsehpremiere: auf N3 in Niedersachsen zwischen 18.35 und 18.45 Uhr, jenen Minuten, die dem nördlichen Flächenstaat zwischen Harz, holländischer Grenze und Nordsee gegenwärtig für Wahlwerbung der Parteien reserviert sind.

Konzipiert und auch eingespielt haben das witzige Zweiminuten- Opus ein halbes Dutzend Zehnjähriger aus dem Hamburger Corvey- Gymnasium, die Kamera hielt Stefanie Ritter, eine der Mütter. Das hellsichtige Gemeinschaftswerk wirbt allerdings für keine Partei, sondern für menschlichere Lebensbedingungen. Genau wie „Weil (Liebe ist nur ein Wort)“, „Das Gesetz des Archimedes“, „Keine Macht den Doofen“ und fünf weitere Spitzenspots von Schülern, Filmstudenten und Jungfilmern, allesamt Preisträger eines Kurzfilmwettbewerbs. Den hatte das Osnabrücker Film- und Medienbüro im Auftrag der SPD organisiert (und war in über 400 Einsendungen beinahe ertrunken).

Auch auf den vier N3-Sendeplätzen der Grünen ist keine Parteipropaganda zu sehen. Statt dessen erscheinen dort Spots der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl auf dem Schirm und am 23.2. das Video „Menschenhaß – Gewalt kennt keine Grenzen“ des Jungfilmers Oliver Neis vom Filmhaus Köln. Das ist aber auch schon alles, was von den großen Worten zum generellen Wahlspotverzicht des vergangenen Sommers übriggeblieben ist. Alle 17 Wahlbewerber nehmen beim NDR die „besonderen Sendezeiten“ in Funk und Fernsehen voll in Anspruch.

Der Spotverzicht war ins Gespräch gekommen, nachdem in der NDR-Belegschaft der Unmut über die Verbreitung auch volksverhetzender Propaganda der Rechtsextremisten sich zu einer Massenankündigung ballte, die Mitarbeit zu verweigern. Daraufhin hatte NDR-Intendant Jobst Plog dazu aufgerufen, das in Rundfunkstaatsverträgen und Landesmediengesetzen festgeschriebene Parteienprivileg kostenloser Werbeausstrahlungen abzuschaffen. Zwar beschloß der Landtag in Hannover im September: „Die Verpflichtung der elektronischen Medien, den Parteien vor Wahlen unbezahlte Sendezeiten für Eigenwerbung zu Verfügung zu stellen, soll aufgehoben werden.“ Und auch Niedersachsens SPD-Miniterpräsident Gerhard Schröder machte sich für Plogs Initiative stark. Doch erklärten seine Amtskollegen der anderen drei norddeutschen NDR-Vertragsländer sowie die Konferenz aller Länderchefs Ende Oktober den Parlamentsbeschluß für nichtig.

Deshalb dürfen sich nun auch antidemokratische, faschistoide Zusammenrottungen wie Reps und NPD nach Belieben artikulieren – letztere auf Funk- und Fernsehfrequenzen des NDR, erstere zusätzlich bei RTL und „Antenne“. Und in Niedersachsens Parteienzentralen schert man sich, inzwischen voll im Wahlkampffieber, kaum noch um das eigene Geschwätz von gestern. Es sei damals lediglich um die „Bereitschaft“ zum Verzicht gegangen, so CDU- Landesgeschäftsführer Hermann Kues. Die habe seine Partei an zwei Bedingungen geknüpft: daß eine allgemeine Regelung existieren und daß rechtsradikale Propaganda dann auch sicher ausgeschlossen sein müsse. Es bestehe „kein ernstes Interesse, Sendezeiten unnötig zu reduzieren“.

Die FDP läßt Abraham Lincoln für sich antreten („Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt ... [!]), bezeichnet das selbst als „Nichtwerbung“ und verweist bei Gelegenheit darauf, unter dem Aspekt „Parteien- und Staatsferne“ die Abschaffung der kostenlosen Funk- und Fernseh-Wahlwerbung im niedersächsischen Landtag bereits mehrfach erfolglos beantragt zu haben.

Zwar hat bisher niemand weiter bei den – ebenfalls dazu verpflichteten – Privat-Sendern RTL und Sat.1 zusätzlich Fernsehwerbezeit gebucht. Doch wird andernorts in eigener Sache getrommelt, was das Zeug hält: Nicht nur im NDR-Hörfunk werben SPD und CDU je achtmal, Bündnis 90/Grüne und FDP je viermal, die restlichen 13 Wahlbewerber je zweimal. Auch bei den Privat-Radios „Antenne“ und „ffn“ wurde fleißig Sendezeit dazugekauft. Die SPD sicherte sich zum Beispiel 20 zusätzliche Radio- Auftritte (das Stück zu rund 1.700 Mark), die CDU zwölf, die FDP zehn. Auch die Statt Partei/Unabhängige langt hin. Die Grünen stehen bei „ffn“ auf der Matte, klagen aber, daß ihnen wegen Geldmangels „leider nicht mehr Spots vergönnt sind“, und überziehen derweil Niedersachsen landesweit mit Kinowerbung. Ulla Küspert