: Besoffen in der Baugruppe
SOAP „Stofftiercasting – was um Himmels willen ist das denn?“ Diese rhetorische Frage stellt Andreas Walter, Intendant von „Humana – Leben in Berlin“, zu Beginn seiner Show. Die Stofftiersoap gibt ihre 100. Folge
VON JÜRGEN KIONTKE
„Ach herrje“, seufzt Steffi. Gerade hat die Berliner Studentin beim Aufräumen den Schrank verrückt, da kommt ihr der alte, kleine Bär entgegengepurzelt. „Den hat mir doch der Frank geschenkt, und kurze Zeit später hat er Schluss gemacht.“ Ein Hauch von Traurigkeit flattert durch das kleine WG-Zimmer. Doch ihre Freundin Elke weiß Rat: „Na, ist doch super: Wir gehen heute in die Stofftiersoap, da lässt du ihn casten. Dann hat der Bär was zu tun und dir tut’s nicht so weh.“
„Stofftiercasting – was um Himmels willen ist das denn?“ Das ist die zentrale rhetorische Frage, die Andreas Walter, Intendant der Theatersoap „Humana – Leben in Berlin“, zu Beginn seiner Show stellt. Der ehemalige Geschäftsführer der Kulturfabrik Moabit steht auf einer Bierkiste neben dem Bühnenkasten in der Größe eines Umzugskartons. Im „Ä“ in der Weserstraße – einer von vier Kneipen, in denen er regelmäßig gastiert – haben sich 70 Zuschauer versammelt. Knallhart erklärt er: Wenn die Kuschelshow richtig Spaß machen soll, müssen alle die Klappe halten – schließlich ist man im Theater. Und mitmachen, das heißt, vergessen, dass das da vorne nur ziemlich starr guckende Stofftiere sind, die an Drähten und Klammern hin und her bewegt werden. Eintritt kassiert Walter nicht, dafür geht er später mit dem Klingelbeutel rum.
„Humana“-Stars brauchen viel Zuspruch: Ob Türtier, Kuschelcurrywurst oder Taschentuchwesen: sie wurden vergessen, hausten im Secondhandladen oder waren gar obdachlos. „Humana Leben“ ist das Pendant zum Theater Christoph Schlingensiefs: Du hast keine Chance, nutze sie. Die kleinen Akteure haben viele versteckte Talente, berichtet Walter: Zum Beispiel „eine erschreckende Ähnlichkeit mit Promis“. Angela Merkel – die bunte Knutschkuh. Bushido: der stark behaarte Maulwurf. Angereist kommt das Ensemble im Kinderfahrradanhänger.
Die kleinen Darsteller tun, was sie können. Die Kerntruppe bilden Ralf, Maike, Wiebke und Petra – sie verkörpern die typischen Querschnittberliner: den Arbeitslosen, Dr. Hetzer aus der Charité, den Regierenden oder die partysüchtige Reinickendorferin. Sie laufen Marathon, daten sich, wenn sie sich nicht gerade in einer Baugruppe engagieren oder komplett besoffen sind.
Walter und seine Mitpuppenspielerin Ulrike Dittrich tanzen, trinken und strippen mit: Besonders jugendfrei ist die Show jedenfalls nicht – auch die Stofftier-Crowd muss schließlich mal in den KitKatClub. Seit über zehn Jahren geht das nun so. Immer zwei Folgen à 30 Minuten gibt’s zu sehen. Und nun steht Folge 100 ins Haus. Titel: „Für dein Alter siehst du aber noch ganz gut aus, Wiebke!“. Inhalt: Die Hauptfiguren überlegen, wie sie bei der Soap angefangen haben und welchen Sinn ihr kurzes Leben hatte. Zu konkret darf es nicht werden: Denn je nach Sachlage entscheiden die Darsteller auch spontan, wie improvisiert wird oder ob nicht. Vorkenntnisse sind beim Zusehen übrigens nicht nötig. Die Jubiläumsfolge wartet indes mit einem absoluten Highlight auf: Zum ersten Mal ist ein echter Mensch für eine Stofftierrolle gecastet worden. Nancy war als Zuschauerin in Folge 99. Jetzt spielt sie mit. Man darf gespannt sein, wie Walter diese „Figur“ in den Bühnenkasten von gerade mal 50 Zentimeter Höhe bekommt.
Und da wären wir auch schon wieder bei der Einstiegsfrage: What the hell is Schmusetiercasting? „Ihr bringt euer Stofftier mit, und das Publikum entscheidet, welche Rolle es in der nächsten Folge haben wird“, erklärt Walter. „Haben wir denn heute eins hier?“, ruft er ins Publikum. Obwohl Steffi eigentlich zu traurig für was Lustiges war, hat sie den Weg ins Ä gefunden. Ein Glück. Nun geht sie nach vorne, setzt Franks angestaubtes Abschiedsgeschenk auf die Bühne und sagt: „Das ist Paul. Den hat mir mein Exfreund geschenkt. Der Freund ist weg, der Bär ist geblieben. Und nun will er eine Rolle in der Stofftiersoap.“
Die Abstimmung erfolgt per Scharr-o-Meter, das Publikum schubbert mit den Schuhen über den Boden. Ja, der Bär Paul ist drin. In der nächsten Folge wird er eine bedeutende Nebenrolle spielen. Was wird Walter aus ihm machen nach dieser Vorgeschichte? Vielleicht wird er in der Rolle des treulosen, herzenbrechenden Schufts erscheinen.
■ Wieder am Freitag, 23. August, 21 Uhr im Ä, Weserstraße 40, U-Bhf Rathaus Neukölln. Weitere Termine unter www.interpicnic.de