: Beschützerinstinkt im Doppelpack
Auch Bertrand und Guillaume Gille konnten die 26:33-Pleite ihres HSV Handball zum Saisonauftakt in Göppingen nicht verhindern. Die beiden Franzosen gelten als erfolgreichstes Brüderpaar des Welthandballs – und sind auch abseits des Hallenparketts hervorragend eingespielt
Sie waren schon immer für einander da, ein Leben lang. Das war zu Kindeszeiten so, als sie beide die Jugendteams des französischen Handballvereins HBC Loriol durchliefen, und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Liegt einer der beiden etwas länger auf dem Hallenboden oder im Clinch mit einem renitenten Gegenspieler, ist der andere nicht weit.
Guillaume Gille, 28, genau wie sein knapp zwei Jahre jüngerer Bruder Bertrand, beobachtet in diesen Momenten mit einem geschulten Rundumblick das Geschehen. Es ist dieser Beschützerinstinkt, der dazu führt, dass es die Gille-Brüder nur im Doppelpack gibt. Und wie sie in jenen Augenblicken dastehen, jede Bewegung um sich herum genau registrieren und dem gepeinigten Bruder dabei intuitiv den Rücken stärken, bleibt eines doch aus: Blutrache. Fordernd und selbstbewusst treten die Franzosen in diesen Momenten auf, nicht agressiv. Sie sind einfach nur präsent. „Das ist eine ganz normale Reaktion, er ist doch mein Bruder. Wie würden andere Menschen vorgehen, wenn jemand die Frau oder das Kind bedrohen würde?“, fragt Bertrand. Sein Blick geht hinüber zu Guillaume, der den „Ball“ umgehend aufnimmt. „Es ist eine Blutreaktion“, ergänzt er und lächelt.
Anfang dieses Jahres machte den Gille-Brüdern, die 2001 Seite an Seite Weltmeister wurden, ein Gefühl der Ohnmacht zu schaffen. Bertrand hatte im Dezember 2004 einen Bänderriss im linken Fuß erlitten und musste daher die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Tunesien absagen. Guillaume stand zwar im Kader, spielte aber kaum. Frankreichs Nationaltrainer Claude Onesta setzte auf der Spielmacherposition auf „Oldie“ Jackson Richardson - nicht nur zum Leidwesen von Guillaume, sondern auch von Bertrand, der das Geschehen hilflos aus Hamburg verfolgte.
„Ich war sauer, denn die Mannschaft hat viel besser gespielt, als mein Bruder dabei war“, sagt Bertrand. „Aber du kannst so wenig machen, wenn du 2000 Kilometer entfernt bist. Du kannst ihn nur anrufen und versuchen, ihn aufzubauen.“ Was auch gelungen ist. „Die Situation damals hat mich fast kaputt gemacht“, erinnert sich Guillaume. „Dann war da die Unterstützung durch meinen Bruder. Das hat mich natürlich sehr gefreut.“
Das Wissen darum, dass sich der eine auf den anderen verlassen kann, hat ihren Werdegang geprägt. Als Bertrand Gille sich im Sommer 2002 entschloss, das Angebot des HSV Hamburg anzunehmen, war damit auch der Wechsel von Guillaume in die Wege geleitet, der bis dahin ebenfalls für den französischen Pokalsieger US Chambery spielte. „Ich wollte damals das Umfeld wechseln, und die deutsche Bundesliga bietet nun einmal die attraktivste Meisterschaft der Welt“, sagt Bertrand. „Dass wir zusammenbleiben konnten, war einfach super. Es war gar nicht einmal unbedingt unser Wunsch gewesen, aber es war natürlich von Vorteil.“
In den ersten beiden Jahren wohnten die Gille-Brüder mit ihren Familien fast Haus an Haus in Quickborn - nur gut 300 Meter Luftlinie trennte die beiden neuen Stars des HSV Hamburg. Seit wenigen Monaten lebt Bertrand mit seiner Familie in Norderstedt. Krach zwischen den Brüdern habe es aber nicht gegeben, betonen beide unisono. Die Wohnung sei nach der Geburt des zweiten Kindes schlicht zu klein geworden, sagt Bertrand.
Die enge Beziehung zueinander äußert sich nicht nur im Sport. Beide haben zusammen ein Fernstudium im Sportmanagement abgeschlossen, sie fahren gemeinsam mit ihren Familien in den Urlaub, und beide haben in der ersten Zeit in Hamburg zusammen die deutsche Sprache erlernt. „Wir haben damals viel gefragt und sind wahrscheinlich auch einigen Personen damit auf die Nerven gegangen. In der Schule hatten wir zwar Deutsch, aber das war alles nicht mehr da. Und die Leute hier sprechen so schnell, dass Du Kopfschmerzen davon bekommst, wenn Du versuchst, dich auf die Vokabeln zu konzentrieren“, sagt Guillaume.
Auf der Kippe habe die Freundschaft unter Brüdern nie gestanden, sagen beide in mittlerweile exzellentem Deutsch. Als Bertrand 2002 zum Welthandballer des Jahres gewählt wurde, habe er sich aus vollem Herzen für seinen Bruder gefreut, sagt Guillaume. „Ich war superstolz auf ihn, denn er hat den Titel verdient. Es ist einfach klasse, dass er dieses supergeile Handball-Niveau erreicht hat.“
„Sicher gab es mal Momente, in denen wir nicht einer Meinung waren, aber die sind selten. Und klar haben wir uns als Kinder ein paar Mal auf die Fresse geschlagen, aber das war's auch schon“, ergänzt Bertrand. „Die Beziehung zu meinem Bruder steht über allen Worten. Ich bin stolz auf ihn, er ist mein Vorbild.“
CHRISTIAN GÖRTZEN