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Beschnüffelt und abgeleckt

■ Keine mildernden Umstände: Am Akademietheater Wien urinszenierte George Tabori seine „Massenmörderin“

Von den angekündigten drei Einaktern wurden am Premierenabend lediglich zwei gespielt. George Tabori habe sich erst wenige Stunden, bevor der Vorhang hochging, dafür entschieden, das Dramolett „Exit“ nicht zur Aufführung zu bringen, hieß es. Warum, wurde nicht gesagt, aber nach Lektüre des im Programmheft abgedruckten vier Textseiten kurzen Stückchens über ein Selbstmordbüro hielt sich das Bedauern über die Nicht-Inszenierung auch in Grenzen.

„Die Massenmörderin und ihre Freunde“ ist Taboris achte Inszenierung eines eigenen Stückes während Claus Peymanns Wiener Direktionszeit. Es gab darunter Höhepunkte wie „Mein Kampf“ oder „Goldberg Variationen“ und durchschnittliches Gebrauchstheater wie „Babylon Blues“ oder „Die 25.Stunde“. Die Qualität von Taboris Texten liegt in der spezifischen Mischung von Tief- und Flachsinn, die bisher selbst pubertäre Altherrenwitze erträglich machte. In „Die Massenmörderin“ nehmen diese allerdings in einem Maße überhand, daß vermutet werden muß, Tabori, der die Stückchen ungehindert inszenieren durfte, genieße am Burgtheater mittlerweile Narrenfreiheit.

Nach dem vorzeitigen Exitus von „Exit“ wird zunächst „Don im Himmel“ gezeigt. Erich Schleyer spielt den greisen, fast blinden und tauben Don Juan, hier Don John genannt, am Ende seiner „Hundstage“ – also noch nicht im Himmel, doch seine letzte Stunde naht. Natürlich wühlt der ständig Pillen gegen Herzschwäche einnehmende „Wüstling des Jahrhunderts“ in seinen Erinnerungen und bühnenwirksam in einem Korb voller Damenschuhe, wobei die Pumps und Stiefel beschnüffelt und geküßt werden, abgeleckt und in den Mund geschoben.

Für seine letzte Stunde benötigt „Dirty Don“ eine Frau, die Prostituierte Amanda – nicht jedoch für letzte Handgreiflichkeiten, vielmehr als Stenografin für seinen Nachruf. Glücklicherweise diktiert er Amanda nicht die Geschichte von seinen „zwanzigtausend Mägdelein“, sondern konzentriert sich auf drei Episoden seines Lebens: auf seine Geburt, auf das Lachen einer Frau eines Nachts hinter der Kirche, das ihn nie mehr losließ, und auf seinen Tod. Mit den Worten „Töte mich, oder du wirst mein Mörder sein“ fordert er Amanda auf, ihm einen letzten Dienst zu erweisen.

Mit Don Johns Ende wird auch diesem Stück ein gnädiges und letztlich schnelles Ende bereitet, das bestenfalls als die wohl unbedeutendste Behandlung des Don- Juan-Stoffes in die Literaturgeschichte eingehen wird. Und was Erich Schleyer betrifft: Selten wurde wohl mit dem Einsatz derart bescheidener Mittel von einem Schauspieler im mittleren Alter versucht, einen Greis zu mimen.

Für den ersten Einakter stellte Andreas Szalla auf die als Halbrund angelegte und ansonsten weitgehend leere Bühne einen barocken Stuhl, der für den zweiten Einakter gegen einen elektrischen Stuhl ausgetauscht wurde. Anstelle des Kronleuchters hängen nun Neonleuchten von der Decke.

Im zweiten, dem gesamten Abend den Namen gebenden Stück „Die Massenmörderin und ihre Freunde“ hatte es Erich Schleyer bedeutend einfacher. Er gab den Vollzugsbeamten, der die zu Tode verurteilte Massenmörderin zu bewachen hat und während ihres Rechtfertigungsmonologs nicht mehr tun muß als zuzuhören. Ursula Höpfner, die im ersten Stück die Nebenrolle spielte, gestaltet als Mörderin im Alleingang die spannendste Szene des Abends: Sie erzählt nicht nur von ihren Morden, sondern drängt Schleyer in die Rolle ihrer frühen Mordopfer, wobei sie ihn zunehmend als Requisit behandelt.

Die Mordgeschichten sind skurril, nicht immer ganz logisch, aber alles andere als bestialisch und verabscheuungswürdig. So sympathisierte das Publikum natürlich mit der Massenmörderin, was sich prompt auch im Schlußapplaus äußerte. Beifall fürs Ganze wegen begünstigender Umstände im Einzelfall – eine Milde, die Altmeister Tabori diesmal nicht zuteil werden sollte. Dieter Bandhauer

George Tabori: „Die Massenmörderin“, Regie: Tabori, Bühne: Andreas Szalla, mit Ursula Höpfner und Erich Schleyer, Akademietheater Wien

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