Beschluss vom Bundesgerichtshof: Beschlagnahme von E-Mails gelockert
Die Polizei darf künftig einfacher über den Provider auf E-Mailkonten zugreifen - und das nicht nur bei schweren Straftaten.
Polizei kann E-Mails leichter beschlagnahmen
FREIBURG taz | Wenn E-Mails beim Provider beschlagnahmt werden, gilt nicht das Fernmeldegeheimnis. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt erst bekannt gewordenen Beschluss von Ende März. Vielmehr sollen die relativ anspruchslosen Regeln der Postbeschlagnahme gelten.
Von diesem Beschluss sind vor allem die Nutzer von kostenlosen E-Mail-Diensten wie gmx oder web.de betroffen, bei denen alle E-Mails auch nach der Lektüre auf dem Server des Providers verbleiben. Doch auch bei T-Online und anderen klassischen E-Mail-Providern werden eingehende Mails einige Minuten bis Tage beim Anbieter zwischengespeichert, bis sie der Nutzer zum Lesen auf den eigenen Rechner herunterlädt.
Dass die Polizei nach richterlichem Beschluss auf die Mails beim Provider zugreifen kann, war schon bisher klar. Umstritten war aber, wann dies möglich ist. Das Landgericht Hamburg entschied Anfang 2008, dass hier das Fernmeldegeheimnis gilt, auch wenn die Nachrichten dauerhaft auf dem Server des Providers bleiben. Die Beschlagnahme der Mails wäre dann nur bei schweren Straftaten möglich. Dagegen hatte das Landgericht Braunschweig 2006 vertreten, dass es hier um eine ganz normale Beschlagnahme gehe, die bei Straftaten aller Art möglich ist. Schließlich sei der Übertragungsvorgang zumindest bei den gelesenen Mails beendet. Der Nutzer habe es jetzt selbst in der Hand, ob er die Nachrichten löschen will.
Der BGH ging als höchstes deutsches Strafgericht nun einen Mittelweg und wertete die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers als Postbeschlagnahme. Es gelten damit die gleichen Regeln, wie wenn Briefe oder Telegramme auf dem Postamt beschlagnahmt werden. Zwar ist auch dies bei Straftaten aller Art zulässig, die Durchsicht der Mails muss aber durch den Richter oder einen Staatsanwalt erfolgen, während bei der normalen Beschlagnahme auch ein einfacher Polizist die Mails auswerten dürfte.
Ob dies die endgültige Lösung des Problems ist, wird sich aber noch zeigen. Denn ein vergleichbarer Fall ist schon seit 2006 beim Bundesverfassungsgericht anhängig und noch nicht entschieden. Damals wurde sogar eine einstweilige Anordnung erlassen, um die Nutzung einfach beschlagnahmter Mails zu verhindern. Die zuständigen Richter sind derzeit allerdings wohl zu sehr mit ihren europapolitischen Ambitionen bei der Kontrolle des EU-Reformvertrags beschäftigt.
Die neue BGH-Rechtsprechung hat keine Auswirkungen auf die Beschlagnahme von Mails auf den heimischen Computern. Hier gelten weiter die allgemeinen Beschlagnahmeregeln. Und wenn Mails zwischen den Providern abgefangen werden, gilt dies wie bisher als Telekommunikationsüberwachung. Für die Ermittler dürfte aber der Zugriff beim Provider künftig am bequemsten sein.
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