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Beschauliches Gossenleben

■ Neu im Kino: „Soguk Geceler/ Kalte Nächte“, eine allzu berechenbare Elendsballade über türkische Straßenkinder

Vier türkische Straßenkinder machen zusammen Musik, haben bei den Touristen von Antalya Erfolg und doch keine Chance, weil ihr Gossenimpresario sie wie ein Zuhälter in der Gewalt hat und gnadenlos ausnimmt. Eine Geschichte wie von Charles Dickens. Und ihre filmische Umsetzung erinnert sehr an Mira Nairs „Salaam Bombay“. Aber in einem Roman des englischen Sozialromantikers hätten die Kinder nach all der Schinderei ihr wohlverdientes Happy-End bekommen, und die indische Filmemacherin hätte sie bestimmt nicht so saubergeschrubbt vor die Kamera gestellt.

Dabei ist das Konzept ganz vielversprechend. Der in der Türkei geborene und in Deutschland aufgewachsene Kadir Sözen ließ die vier Jugendlichen von Laien spielen, die tatsächlich als Straßenmusikanten ihr Geld verdienen. Dabei werden die unvermeidlichen Ungeschicklichkeiten der Amateure in der Regel durch die Authentizität und Glaubwürdigkeit der Darstellung mehr als gutgemacht. Aber Regisseur Sözen läßt die Kinder nicht einfach spielen. Er schränkt sie vielmehr durch streng aufgebaute Dialogszenen ein, in denen sie dann natürlich hölzern das sorgfältig Gelernte aufsagen.

Selbst wenn sie Musik machen, wirken sie wie hingestellt und abgefilmt. Da fällt es natürlich auch schnell unangenehm auf, daß ihre Musik oft extrem asynchron zu den Bildern ist. Dabei sollen diese musikalischen Zwischenspiele, die regelmäßig alle zehn Minuten einsetzen, den optimistisch-beschwingten Gegenpol zu all dem Elend im restlichen Film bilden.

Da werden dann begeistert klatschende Menschen und idyllische Landschaftsaufnahmen mit den lächelnden Gesichtern der Kinder zusammengeschnitten. Aber so richtig in Schwung kommt der Film so auch nicht. Sözen drückt heftig auf die Tränendrüse: Ein Junge muß auf Krücken durch die Straßen humpeln, ein anderer ist blind. Sogar wenn sie klauen oder ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Eselsstute machen, sind die vier Kinder immer lieb und arm dran, während ihr Ausbeuter (als einziger von einem professionellen Schauspieler verkörpert) ständig boshaft, gerissen und brutal durch die Szenen fieselt.

Die dramaturgischen Tricks werden so simpel und offensichtlich ausgespielt, daß man jede Entwicklung schon zwei Liedchen vorher errät. Sobald man die versteckte Blechdose mit dem mühsam Ersparten der Kinder sieht, weiß man, in wessen Tasche das Geld schließlich landen wird.

Dafür gibt es als Finale einen vermeintlich schockierenden Knalleffekt. Doch der pessimistische Schluß bietet keine konsequente Auflösung, sondern folgt dem Rezept für Erzähler mit Abschlußproblemen: Wenn dir nichts mehr einfällt, dezimiere einfach das Personal. Wilfried Hippen

Kino 46, Mo/Di jeweils 18.30 Uhr (türkische Originalfassung mit Untertiteln)

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