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Cannes CannesBeschädigte Kopulationen

■ In David Cronenbergs „Crash“ spielt sich Sex zwischen Autounfällen ab

Man erschrickt zunächst ein wenig angesichts der Aussicht auf eine Verfilmung der „Wahlverwandtschaften“ durch die Gebrüder Taviani („Padre Padrone“, „La Notte di San Lorenzo“), weil sie bisher noch jeden Stoff zum Bilderbuch kleingekriegt haben. Es stellt sich dann aber heraus, daß sie dem Schematismus der Vorlage durchaus gerecht werden: Verspürt Ottilie (Marie Gillian) einen Kopfschmerz rechts, so dauert es nicht lange, und Eduard (Jean-Hugues Anglade) verspürt einen Kopfschmerz links. Isabelle Huppert wiederum kann sicher alles mögliche spielen, aber nicht Charlottens anstrengende Großmut, und so wartet man dann leicht irritiert, bis endlich das arme Kind (eine unfreiwillig gruselig geratene rothaarige Puppe) in den Brunnen gefallen und Eduard ordentlich neben Ottilie beigesetzt ist.

Pornofilme haben die seltsame Eigenschaft, die Zuschauer sensorisch voneinander zu isolieren. Man zieht sich sofort aus den verschiedensten Gründen innerlich vom Nachbarn zurück.

Während man normalerweise bei den Pressevorführungen im Grand ThéÛtre Lumière ganz gut austarieren kann, wie ein Film ankommt und ob alles mitschwingt (am deutlichsten natürlich bei Komödien), war vorgestern abend bei David Cronenbergs „Crash“ so gut wie alles möglich. In der angespannten Stille konnte Empörung stecken oder auch Erregung, jedenfalls herrschte definitiv mehr Spannung als bei irgendeinem anderen Film dieses Festivals.

„Crash“ beginnt auf einem Flughafen, wo gerade Dreharbeiten für einen Pornofilm stattfinden. Die Hauptdarstellerin schmiegt sich an ein kanadisches Segelflugzeug und leckt das Metall, während ein Mann ihren Hintern küßt. Der Regisseur hat sich verzogen und treibt es in einem Kämmerlein mit der Kameraassistentin. Ah bon, denkt man, wieder so ein Egoyan-Essay über Voyeurismus und Sexualität im Zeitalter ihrer elektronischen Multiplizierbarkeit. Dann nimmt aber eine ganz andere, viel seltsamere Angelegenheit ihren Lauf. Der Regisseur James Ballard (James Spader, der hier gestern in äußerst düsterer Sonnenbrille mafiös herumschlich) gerät in einen Unfall mit Frau Dr. Helen Remington (Holly Hunter). Sie treffen sich einige Wochen später auf dem Schrottplatz wieder, im Wrack seines Autos, und lieben sich plötzlich heftig. Abends nimmt sie ihn mit zu einem Spektakel ihres Freundes Vaughan, der James Deans Autounfall nachstellt und dabei wissentlich fast umkommt. Sein nächstes Projekt ist der Unfall von Jane Mansfield. Auf der Autobahn kommen sie an einer riesigen Unfallszenerie vorbei und gehen zwischen den Eingeklemmten hin und her wie Schlafwandler in höchster sexueller Erregung.

Der Film besteht fürderhin aus Warhol-inspirierten Unfallserien mit Kopulationen in allen wahlverwandtschaftlichen Kombinationen. Tiefe Narben werden gestreichelt, geschiente Beine gespreizt, Tätowierungen eingeritzt. „Was ist dein Projekt, Vaughan?“ fragt James, als er längst Teil davon ist. Zur Antwort bekommen er und wir nicht viel mehr als ein vages Gemurmel über den Umbau des menschlichen Körpers durch moderne Technologie. Wie schon in „Die Fliege“ geht es um eine futuristische Vision physischer Möglichkeiten – wie wird man ein Crash- Test-Dummy – zurück zu den Anfängen. Es ist so unheimlich und verlockend wie der Moment, in dem Freuds Aufzeichnungen über das Lustprinzip in der Ursuppe landen, in die eine gewisse Trägheit uns immer wieder zurückziehen will. Nach dem Film brach wütendes Buhrufen, versetzt mit nur wenigem, aber heftigem Beifall aus. Verstört, verärgert, entsetzt, amüsiert tappte das Publikum hinaus in den ersten blauen Abend. Mariam Niroumand

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