Beruf und Familie: Ein Mann. Ein Wort.
Horst Seehofer hat sich entschieden: für seine Ehefrau, gegen seine Berliner Freundin und das neugeborene Baby. Ob das für den CSU-Vorsitz reicht?
Horst Seehofer hat sich also entschieden. Nicht für die junge Geliebte und das gemeinsame, drei Wochen alte Kind, sondern für die Ehefrau, daheim in Bayern, in Ingolstadt. 65 lokale CSU-Granden aus seiner Heimatstadt erfuhren es als beinahe erste in der Partei. Am Samstagnachmittag saß die Ingolstädter CSU-Familie im Kurort Bad Birnbach zusammen, hatte gerade die Stadtratsliste beschlossen, als Horst Seehofer aus dem Nichts heraus verkündete: "Die Familie Seehofer bleibt zusammen!" Nur Kanzlerin Merkel und Noch-CSU-Chef Stoiber hatte der "polyamouröse" (Focus) Bundesverbraucherschutzminister schon informiert.
Dezember 2006: Die Bespitzelungsaffäre um die Fürther Landrätin Gabriele Pauli tobt. Es zeichnet sich ab, dass sich Edmund Stoiber als Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender nicht mehr lange halten kann. Als Nachfolger im Gespräch: Horst Seehofer.
15. Januar 2007: Bild meldet: "Machtkampf in der CSU wird schmutzig - Parteifreunde streuen Gerüchte über heimliche Freundin von Horst Seehofer"
16. Januar: Bild titelt: "Minister Seehofer - Baby mit heimlicher Geliebten!"
18. Januar: Edmund Stoiber kündigt an, seine Ämter Ende September aufzugeben. Bundesagrarminister Horst Seehofer und Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber bewerben sich um den Parteivorsitz.
18. Februar: "Horst Seehofer schadet der Partei mit seinem ungeklärten Privatleben", sagt der bayerische Landtagsabgeordnete Bernd Weiß (CSU) der BamS.
14. Juni: Seehofers Berliner Freundin bekommt ein Mädchen.
7. Juli: Fotos zeigen es, Seehofer bestätigt es: Horst Seehofer bleibt bei seiner Familie.
29. September: Beim Parteitag in München kommt es zum Showdown um den Platz an der CSU-Spitze.
Es ist nicht so, dass es die Menschen besonders viel anginge, wo ein Politiker seine Nächte verbringt und wen er liebt. Doch bei Seehofer - und auch in der CSU - ist das seit dem 16. Januar 2007 anders - seitdem nutzen seine Konkurrenten das Privatleben als argumentative Brechstange. An diesem Tag titelte die Bild-Zeitung mit der Nachricht, dass das CSU-Alphatier Seehofer, 58, ein Kind erwarte - von einer Bundestagsmitarbeiterin. Zwei Tage später, am 18. Januar, kam es auf einer anderen CSU-Front zum Showdown, Stoiber wurde abgesägt vom putschenden Duo Huber/Beckstein. Die beiden wollen die Nachfolge antreten - als bayerischer Ministerpräsident der eine (Beckstein), als Parteivorsitzender der andere (Huber). Alles stand fest, abgekartet war die Entscheidung, in der Nacht hatte sich sogar Stoiber dem Schicksal ergeben. Doch Huber/Beckstein hatten die Rechnung ohne Seehofer gemacht. Obwohl der nur Tage vorher durch die Meldung in der Bild-Zeitung angeschossen worden war, verkündete er am Tag des Stoiber-Rückzugs seinen Anspruch auf die Führung der Christsozialen. Seehofer, der Einzelkämpfer, das Alphatier, gab nicht - wie wahrscheinlich erwartet - nach, sondern begab sich ins Rennen. Und ist immer noch dabei. Oder vielleicht beginnt das Rennen um den CSU-Chefposten jetzt erst richtig, nach seiner Entscheidung für die eine, klassische Familie und gegen die Geliebte und ihr Kind.
Denn seit beinahe sieben Monaten schwelt der Kampf zwischen dem bayerischen Wirtschaftsminister Erwin Huber und Seehofer. Aber es war bisher selten eine Auseinandersetzung um Sachfragen, stets stand Seehofers Unentschlossenheit im Vordergrund. Stets war Seehofers Kampf mit sich selbst im Fokus der Berichterstattung, forciert vor allem durch eine Kampagne der Bild-Zeitung. Den Schwangerschaftsstatus hatte die Bild-Zeitung vermeldet, im Februar spendierte die Springerpostille wieder eine Titelseite: "Kardinal geht auf Seehofer los - Auch erste Ehefrau spricht jetzt". Im Mai dann ein Doppelschlag: Erst Seehofer samt Ehefrau beim EU-Agrarministertreffen, am nächsten Tag fragte Bild samt Foto von Seehofers schwangerer Geliebten scheinheilig: Noch vier Wochen - wie muss sich diese Frau fühlen?
Mittendrin immer der Vater, Seehofer, der kein Votum abgab. Ehefrau oder Geliebte? Immer wieder kam die Frage an Seehofer. Seine parteiinternen Gegner moralisierten so lange, bis dem eigentlich berechnenden Machtmenschen Seehofer der Kragen platzte. Den Stern ließ er ein Zitat schreiben, dessen Tragweite einem Politprofi klar sein muss: "Ich bin gut informiert. Ich weiß viel. Ich habe viel Material", sagte Seehofer dem Magazin mit Blick auf seine Kritiker. Affären gibt es viele in der männerdominierten bayerischen Hegemonialpartei, kleine wie große: Von Franz Josef Strauß Todesursache bis zur Berlinflucht des derzeit amtierenden CSU-Chefs ranken sich Gerüchte, in denen Frauen - weniger die Ehefrauen - eine zentrale Rolle spielen. Ungewohnt für die Bayern, die gemeinhin das traute Familienglück, den weißblauen Himmel und den schönen Schein an sich hochschätzen, dass einer der ihren so offen über die Doppelmoral spricht, beinahe droht. Die Quittung folgte sogleich: Rücktrittsforderungen und ein Stimmungseinbruch bei den bayerischen Wählern, die ihren "Herz-Jesu"-CSUler bisher dem niederbayerischen Wirtschaftsmann Huber vorgezogen hatten.
Das also sind die bayerischen Rahmenbedingungen, drei Monate vor dem CSU-Parteitag, an dem 1.100 Delegierte zwischen Seehofer und Huber wählen müssen. Es ist eine Entscheidung, die nicht nur einen hohen Unterhaltungswert bietet, sondern durchaus auch mit Tragweite nach Berlin, in die große Koalition. Denn Günther Beckstein ist ein Sicherheits- und Innenpolitiker - ein Sozialexperte ist er sicher nicht. Innerhalb der CSU nimmt man deswegen an, dass sich die Doppelspitze - egal ob Beckstein/Huber oder Beckstein/Seehofer - die politischen Themen aufteilen wird. Gerade die Sozialpolitik wird der neue CSU-Chef betreuen und innerhalb der Berliner Koalitionsrunden vertreten. Sicherlich wird es einen Unterschied machen, ob ein wirtschaftsliberaler Huber dort sitzt, Haupturheber des menschenfeindlichen Unions-Wahlprogramms von 2005. Oder ob Seehofer, der Sozialverbandschef, mitredet in den Diskussionen zwischen SPD, CDU und CSU. Welche Macht ein CSU-Parteichef haben kann auch ohne Ministerpräsidentenamt, führte der Parteilehrmeister Franz Josef Strauß immer wieder vor. Gegen den Willen des damaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel zwang FJS die bayerische Staatsregierung 1973, eine Klage gegen den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag anzustrengen.
CSU-Chef - ein Posten also mit Gestaltungsmöglichkeit, gerade für Machtmenschen. Und Seehofer ist solch einer. Zwar Einzelgänger, aber auch jemand, der sagt, dass Politik kein Mickymausspiel sei.
Wo Seehofer ab Ende September, dem CSU-Parteitag, mitspielt, ist aber auch nach seiner Familienentscheidung unklar. Aus der Partei gibt es dazu wenig Reaktion. Der altvordere Alois Glück hat gratuliert zur Entscheidung, aber sonst: vor allem Schweigen, auch von seinen Kritikern.
Eine böse Stimme gibt es zu lesen, im Donaukurier - Seehofers Hauszeitung. Dort wurde gestern ein ominöser "Parteioberer aus dem Huberlager" zitiert: "Wir warten sehnsüchtig darauf, dass die Freundin auspackt." Was in so einem Fall passiert, ist fraglich. Schon am Montag reagierte Seehofer deutlich entnervt auf Journalistenfragen. Was jetzt los sei mit der Familie und ob die vermeldete Entscheidung stimme, wurde da am Randes des Verbraucherschutztages gefragt. Seehofer schwieg, dachte nacht, sekundenlang. Um dann gepresst mitzuteilen: "Sie haben doch immer eine Entscheidung gefordert. Das habe ich jetzt getan. Jetzt muss Ruhe sein." Ob es eine Drohung, eine Bitte, ein Hoffen war, das weiß man nicht. Das weiß man bei Seehofer nie.
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