Bert Schulz würde angesichts dieser Aussichten gerne die Mücke machen: Die Blutsauger sind wieder unter uns
Zu den Absurditäten des Daseins gehört es, dass sich der Mensch selbst im 21. Jahrhundert von Viehchern piesacken lassen muss, die viel, viel kleiner sind als er: Mücken zum Beispiel. Im vergangenen Herbst fielen sie in Massen über Berlin und Brandenburg her, raubten uns mit ihrem Gesirre den Schlaf, und dicke Stichbeulen im Gesicht erinnerten uns am nächsten Morgen an die Übermacht der Fieslinge über uns.
Zu unseren Hoffnungen gehört, dass die Natur solche Gemeinheiten schon allein richten wird. Etwa durch harte Winter, die die Mückenpopulation massiv dezimieren. Das macht die Natur auch, aber leider hilft es nichts: Trotz des harten Frosts in den vergangenen Wochen könnten wieder genauso viele Stechmücken Schlafzimmer und Balkone, Parks und Wälder erobern wie im Herbst. „Egal, wie viele oder wenige den Winter überleben – entscheidend sind die Witterungsverhältnisse im Frühling“, sagt Mückenexpertin Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg bei Berlin der Presseagentur dpa. Jetzt, wenn die Temperaturen langsam in Richtung 10 Grad klettern, käme es für die Blutsauger darauf an, feuchte Brutplätze für die Eiablage zu finden.
Und der (Schnee-)Regen der vergangenen Tage hat da für geradezu paradiesische Verhältnisse gesorgt: In den Parks und entlang der Gewässer ist es schön matschig und modrig. So erwachen bei den Mücken, die in Kellern, auf Dachböden und in anderen wettergeschützten Ecken an Häusern und in Gebüschen in Brandenburg und Berlin überwintert haben, jetzt die Frühlingsgefühle.
Mit allem Drum und Dran: Die meisten Exemplare, die jetzt umherzuschwirren beginnen, hätten bereits im Herbst Blut gesogen und seien befruchtet worden. Sie warteten nur darauf, ihre Eier ablegen zu können, sagt Doreen Walther. Und zwar bis zu 300 Stück – pro überwinterte Mücke.
Angesichts dieser Fruchtbarkeitsdimensionen muss Mensch nicht lange rechnen, was da auf ihn zukommen könnte. Noch dazu seien heimische Mückenarten äußerst kälteresistent, sagt die Biologin. Sie hätten ein eingebautes Frostschutzmittel, dank dem sie gut auch über harte Winter kämen.
Die Natur hilft uns also nicht, vielmehr ist sie sogar noch gemeiner: Laut der Wissenschaftlerin habe sich sogar die aus den Tropen eingewanderte Asiatische Buschmücke bereits der Kälte angepasst. „Bis zu minus 20 Grad machen ihr nichts mehr aus“, sagt Walther.
Die einzige Rettung: schnell gutes Wetter. Sprich Sonnenschein und Wärme, die die Brutplätze austrocknen. Aber danach sieht es nicht aus. „Die Bauern freuen sich über Regen im Frühjahr, die Mücken auch.“ Werde es dann noch angenehm warm, schlüpften die Mücken im Handumdrehen. „Spätestens Anfang, Mitte Mai ist das für uns auch wieder schmerzhaft spürbar“, so die Prognose der Forscherin.
Statt entspannt durch die Natur zu flanieren oder lange Nächte auf dem Balkon zu feiern, wäre es dann für uns Menschen am besten, die Mücke zu machen. Verjagt werden von so einem kleinen Vieh – geht’s noch schlimmer?
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