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Bernhard Pötter Wir retten die WeltErfolgsrezept: Die Nachbarn anstecken

Aus dem Fenster meines Arbeitszimmers sehe ich: einen Innenhof mit Bäumen, in denen Vögel und Eichhörnchen turnen, Sandkästen voller Kinder, eine Baustelle, Fenster, Wohnungen, Balkons, ausgebaute Dachgeschosse. Was ich nicht sehe, sind Solardächer. Jetzt wissen Sie auch, warum auf unserem Dach kein Ökostrom produziert wird.

„Wie jetzt?“, denken Sie, „was hat denn die fehlende Solaranlage beim Nachbarn mit Pötters fehlender Solaranlage zu tun?“ Die Antwort: alles. Denn nichts ist offenbar so entscheidend dafür, ob man selbst Ökostrom produziert wie die Leute direkt nebenan. Das sagt jedenfalls eine Studie aus den USA zum „peer effect“. „Es ist im Prinzip so: Wenn man ein Solarpanel vom eigenen Fenster aus sieht, dann beschließt man mit größerer Wahrscheinlichkeit, auch eines auf das eigene Dach zu stellen“, sagt Leonie Wenz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Mitautorin der Studie, in einer Presseerklärung. Die AutorInnen dachten erst, vielleicht sei Einkommen wichtiger, Bildung oder Mund-zu-Mund-Propaganda. „Es stellte sich heraus, nein, die geografische Entfernung ist wirklich mit Abstand der wichtigste Faktor.“

Das heißt dann wohl: Das gute Vorbild ist ansteckend. Das Herdentier Homo sapiens sapiens infiziert sich gegenseitig nicht nur mit Viren oder der Liebe zum FC Bayern München, sondern auch mit guten Ideen. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Was der Nachbar hat, will ich auch! Ein ganz neuer Blick auf Nächstenliebe und Statusneid.

Es klingt wie ein Slogan für den Wahlkampf von Annalena Baerbock: Je mehr Ökodächer, desto mehr Ökodächer. Je mehr grüne Stimmen, desto mehr stimmen die Grünen. Sonst haben alle zu Recht die Hosen voll, wenn beim Klima von „Kipppunkten“ die Rede ist – irgendwann macht es Plopp und der Golfstrom fließt rückwärts wie die Spree, wenn sie einen schlechten Tag hat. Hier aber wäre mal ein Punkt, an dem die Ökodächer und der Rest des Landes in die richtige Richtung kippen. Die fiesen Fossilen würden dann unausweichlich in die Biotonne der Weltgeschichte rutschen.

Auch für Frau Baerbock brächte eine solche automatische Missionierung qua Nachbarschaft gute Aussichten: Wenn sie in der Grünen-Zentrale in Berlin-Mitte (eigene Solaranlage auf dem Dach!) aus dem Fenster schaut, sieht sie zwei Gebäude, die eine ordentliche Dosis ökogrüne Ansteckung dringend nötig haben: die Bundesministerien für Verkehr und für Wirtschaft/Energie.

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