Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Das macht jetzt echt keinen Spaß mehr
Beim Abendessen nach der Verkündung des „Wellenbrecher-Lockdowns“ ist die Verwirrung groß: Was darf man jetzt noch? FreundInnen treffen? Zur Schule gehen? Jawohl. Arbeiten? Auch. Die meisten jedenfalls. Kneipe, Reisen, Karneval? Vergiss es. Fußball spielen? Nein, wenn man Amateur ist; ja, wenn man Profi ist. Oma und Opa besuchen? Lieber nicht. Eigentlich gibt es eine einfache Faustregel, meine ich: „Alles, was Spaß macht, ist erst mal verboten.“
Wir Ökodiktatoren kennen das Problem. Für die Rettung der Welt muss untersagt werden, was vielen Menschen nun mal Freude macht: Mit dem Bleifuß über die A 49 brettern, zum Sonnenbaden nach Fuerteventura fliegen, jedes Jahr ein neues Smartphone, die Kreuzfahrt mit dem All-you-can-eat-Buffett. Sorry, aber das geht alles gar nicht mehr!
Weil wir das ungern laut sagen, nennen wir es „die Debatte um einen zukunftsfähigen Lebensstil führen“. Und dann schreibe auch ich von den Freuden des einfachen Lebens: Urlaub in der Uckermark! Shoppen auf dem Flohmarkt! Entschleunigt leben! Unseren „Spaß“, den wir im Leben haben wollen, müsse man einfach anders definieren.
Ich bin da inzwischen nicht mehr so sicher. Ähnlich wie bei der heftigen Debatte, ob es im Kapitalismus überhaupt „grünes Wachstum“ geben kann, frage ich mich: Kann und soll Sparen, Begrenzen, Reparieren und Recyclen wirklich Lust machen? Haben wir, jetzt mal ehrlich, nicht einfach das Mehr, Schneller, Höher und Geiler im Blut, das Bedürfnis nach Saus und Braus, nach Zucker, Fett und Benzin? Der Spruch „Die Erde bietet genug für alle Bedürfnisse, aber nicht für jede Gier“ ist mir sehr sympathisch. Aber eigentlich funktioniert er bisher nur auf Kirchentagen.
Die Coronakrise rüttelt da am Eingemachten: An der Spaßgesellschaft, in der sich viele von uns seit zwei Generationen bequem eingerichtet haben, wenn sie nicht zu den Ausgebeuteten von Amazon bis Tönnies gehören. Aber insgesamt sind private Lust und die Freiheit zum Konsum zum wichtigsten Maßstab geworden, dem niemand widersprechen darf, wenn er die Fünfprozenthürde überspringen will. Man stelle sich vor, nicht „Fun haben“ stünde im Fokus, sondern (au weia: ganz konservative!) Werte: Pflicht. Notwendigkeit. Verantwortung. Langfristigkeit. Zukunft.
Das macht jetzt echt keinen Spaß mehr? Kann schon sein. Aber vielleicht geht es bei Corona, Klima und Kapitalismus gerade mal nicht darum, den Alltag traditionell „lebenswert“ zu machen. Sondern überlebenswert.
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