Berlinwahl-Analyse von Udo Knapp: Das Grüne Elend

Die Berliner Grünen haben sich strategisch im Zentrum der Stadt eingemauert. Damit haben sie im großen Rest Berlins das Bild einer ideologischen und auf sich selbst fixierten Szenepartei verfestigt.

Bettina Jarasch (M), Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, Annalena Baerbock, Außenministerin und Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, stehen bei der Wahlveranstaltung ihrer Partei vor der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus lachend auf der Bühne.

Foto: picture alliance/dpa | Monika Skolimowska

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 13.02.2023 | Die gute Nachricht aus Berlin: Das Verwaltungsversagen bei der letzten Wahl ist korrigiert, die Wahlbeteiligung lag mit 63 Prozent im statistischen Mittel, von Politikverdrossenheit zumindest in dieser Hinsicht keine Spur. Auch dass überwiegend die Alten gewählt haben und die Jungen lieber zum Sport gegangen sind oder wohin auch immer, muss nicht beunruhigen. Das ist demokratischer Alltag.

Die schlechte Nachricht: SPD und Grüne haben die Wahl zum Abgeordnetenhaus klar verloren, das meint speziell auch ihre beiden Spitzenkandidatinnen Franziska Giffey und Bettina Jarasch. Beide haben gerade mal 18,4 Prozent Zustimmung bekommen, beide haben zuvor ihre Chance nicht nutzen können, gemeinsam mit der in Berlin noch lebendigen Linkspartei die ökologische Modernisierung der Stadt auf den Weg zu bringen. Gäbe es eine politische Kultur, dann müssten beide persönliche Konsequenzen ziehen und gehen. Aber auch aus den 28,2 Prozent der CDU lässt sich kein legitimer Anspruch auf das Regieren ableiten. Im Grunde wollen die Leute gar keine der möglichen Koalitionen. Was bedeutet das?

Kein auf Wandel gepoltes politisches Bewusstsein

Die ersten Wirkungen der unvermeidbaren Großen Transformation sind im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. Klimakrise, Energie- und Verkehrswende, der Umbau der Industrie jenseits der fossilen Ressourcen, der große Kampf zwischen den autokratischen und den demokratischen Teilen der Welt und die Wirkungen der demographischen Entwicklungen auf die soziale und gesellschaftliche Infrastruktur der Republik erzeugen menschlich erwartbare Abwehr und Angst.

Das Blau der CDU auf der Karte der Wahlergebnisse im bürgerlichen und proletarischen Außenrand der Stadt mit nur wenigen roten Einsprengseln der SPD und der im Vergleich kleine grüne Klumpen in der Mitte zeigen, dass ein sich entwickelndes, auf Wandel gepoltes politisches Bewusstsein und Mehrheiten für einen ökologischen Wandel in der Stadt nicht gibt. Alles soll, soweit es irgend geht, so bleiben wie es gerade ist, obwohl alle wissen, dass das nicht zu machen ist.

CDU und SPD bedienen wie populistische Märchenerzähler den öffentlichen Raum mit dem Geraune von der Überwindung der Spaltung der Stadt, vom Mitnehmen aller und ihrer Interessen in die Zukunft. Genau betrachtet ist das aber nichts anderes ist als die verlogene Beschwörung des Status Quo.

In der politischen Blase eingesponnen

Die Grünen haben auf Ebene der Bundesregierung in der Klima-Energiepolitik und in der Demokratie-Verteidigungspolitik pragmatisch Gestaltungsmacht auf ihrem Weg in die Mitte der Gesellschaft gewonnen. Sie arbeiten hier mit gut begründeten und entschlossen durchgesetzten Zumutungen, die den Alltag aller Bürger dauerhaft verändern sowie Gesellschaft und Wirtschaft neu aufstellen wird. Aber ansonsten sind die Grünen auch im Bund in ihrer politischen Blase eingesponnen und unbeeindruckt von allen anderen großen Aufgaben. Die Berliner Grünen haben gegen die auf Angst vor Veränderung setzende Strategie kein Mittel gefunden. Sie reden zwar von der ökosozialen Wende der Stadt, aber genau hingesehen haben sie keine nachvollziehbaren Ideen und pragmatischen Vorschläge dafür, wie die soziale und gesellschaftliche Infrastruktur der ökologischen Moderne in Berlin aussehen soll.

Warum die Berliner Grünen in der Wohnungspolitik auf Verdichtung anstatt Neubau setzen, ist nicht nachvollziehbar. Die SPD hat vor vielen Jahren mit dem Märkischen Viertel und den großen Neubaugebieten in Spandau und Rudow gezeigt, wie in wenigen Jahren Tausende bis heute bezahlbare Wohnungen hingestellt werden können. Auch der ideologische Streit um die Enteignung hilft da nicht weiter, weil er nichts anderes ist als ein ideologisch verdeckter Rückkauf der von der SPD einst verkauften Wohnungen.

Ein großes strategisches Defizit

Die Grünen in der Stadt haben, außer dem Bestehen auf Genderei, kein nachvollziehbares Konzept vorgetragen, wie die Schulen nach ihrer erbrachten Gesamtleistung bewertet von den Lehrern selbstverantwortlich und vor allem chancengerecht für alle Kinder organisiert werden könnten. Verbeamtung und Mehrarbeit für Lehrer sowie größere Klassen sind keine zukunftsfähigen Antworten.

Die Grünen in der Stadt haben bis heute kein Konzept dafür vorgelegt, wie die Altersarmut bekämpft und die ambulante Pflege gestärkt werden könnten, die in den nächsten 20 Jahren besonders das Leben der älteren Frauen in ihren angestammten Kiezen bestimmen wird. Der aktuelle Fokus der Politik auf stationäre Versorgung wird künftig nur einen nicht auszuschließenden Pflegenotstand verschärfen.

Die Grünen in der Stadt haben kein Konzept dafür, wie man mit der berechtigten Besorgnis vieler Bürger über die Verrohung, die Gewalt und die sich bildenden Parallelgesellschaften in der Stadt politisch konstruktiv umgehen könnte. Gerade in Zeiten großen Wandels wird ein starkes staatliches Gewaltmonopol gebraucht.

Diese Aufzählung ließe sich leicht verlängern. Bemerkenswert ist, dass es für alle hier genannten Bereiche in der Stadt viele Vorschläge und viel Kompetenz gibt, die von der Politik aber nicht abgerufen werden.

Die 18 Prozent Zustimmung, in die sich die Grünen hier seit Jahren eingemauert haben, belegen ein großes strategisches Defizit. Es besteht in der Illusion, dass sich der grüne Klumpen im Zentrum der Stadt von selbst ausweitet, wenn man sich auf ihn konzentriert. Im großen Rest der Stadt hat sich aber genau deshalb das Bild von den Grünen als einer öko-ideologischen und vor allem auf sich selbst fixierten Szenepartei weiter verfestigt. Das sieht man auch daran, dass die Grünen, anders als anderenorts, vom fortschreitenden Niedergang der SPD nicht profitieren. Ohne das ausgeweitete und pragmatische Tableau einer grünen Volkspartei haben die Berliner Grünen kaum realpolitische Perspektiven. Die 18,4 Prozent sind so gesehen die letzte Chance, sich zu besinnen. Das aber werden die Berliner Grünen sich allerstrengstens verbieten.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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