Berlins politischer Stadtführer: Sag mir, wo die Lobbys sind...
Der "LobbyPlanet Berlin" erklärt, welche Lobby von wo aus operiert - und zeigt so das wahre Gesicht der Hauptstadt.
Berlin ist, wenn man ehrlich ist, eine städtebaulich stinklangweilige Stadt. Die Zuständigen wollen deshalb auch unbedingt das alte Schloss wiederhaben. Das Regierungsviertel mit seiner Sichtbeton- und Grünglas-Orgie zeugt eben doch nicht von der hauptstädtischen Größe, die die Bauherren durch hektarverschlingende Grundrisse und himmelhoch fliegende Vordächer darzustellen suchten.
Weshalb das Regierungsquartier trotzdem und unbedingt einen ausführlichen Besuch wert ist, hat nun die Initiative LobbyControl in ihrem Stadtführer "LobbyPlanet Berlin" aufgeschrieben. So unterhaltsam und gleichzeitig lehrreich, präzise formuliert und gleichzeitig umfassend hat niemand zuvor beschrieben, wer hinter den Mauern von Berlin-Mitte residiert und dort mehr zu sagen hat, als die Öffentlichkeit gemeinhin ahnt: die Lobbys natürlich, die Abgesandten von Konzernen und Verbänden.
Mit diesem Stadtführer in der Hand beginnen die Fassaden zwischen Tiergarten und Friedrichstraße zu schwingen. Was vorher wie ein graues Verkehrsknäuel mit tausenden identischer grauer Wollmäntelmenschen aussah, wird plötzlich zu einer genialischen Riesenmaschine der wirtschaftlichen Interessenvertretung.
Der Pariser Platz am Brandenburger Tor ist keine Kulisse aus Sandstein-Nachbauten mehr, sondern bekommt Leben: Wenn man zu den Vertretungen der deutschen Rüstungsfirmen Diehl und Krauss-Maffei Wegmann die US-Konzerne Boeing und Lockheed Martin hinzuzählt, "ist der ruhige und friedliche Pariser Platz von Büros der Rüstungslobby dezent eingekreist", heißt es im Stadtführer.
Wobei LobbyControl nicht im reinen Aufzählen der Adressen stecken bleibt. Wie Lobbying funktioniert, wird anhand von eingekastelten Kurzanalysen und Anekdoten liebevoll erklärt. So weitet die Organisation auf 170 Seiten die Idee aus, die sie schon mit dem weit schmaleren Bändchen "LobbyPlanet Brüssel" (erweiterte Auflage April 2007) verfolgt hat.
Um beim Beispiel Rüstungslobby zu bleiben: LobbyControl erinnert an den 2005er Wahlkampf des Hamburger Sozialdemokraten Johannes Kahrs, der nach Recherchen der Frankfurter Rundschau von der Rüstungsindustrie, vor allem Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann, mit insgesamt 60.000 Euro unterstützt wurde. Da Wahlkämpfe längst nicht mehr nur von den notorisch klammen Parteien bezahlt werden, sondern diese vielmehr von ihren Kandidaten auch Eigenbeteiligungen erwarten, wird dies auch eine persönliche Erleichterung für Kahrs gewesen sein.
Kahrs wurde im Haushaltsausschuss SPD-Berichterstatter für den Verteidigungsetat. Sehr prompt wurde hier der Projektansatz für den Schützenpanzer Puma von 2 auf 3 Milliarden Euro erhöht. Wer diesen Panzer herstellt? Ganz recht: Rheinmetall und Kraus-Maffei Wegmann. "Als die Spenden öffentlich wurden, betonte Kahrs, dass juristisch alles in Ordnung gewesen sei und er zum Zeitpunkt der Spenden mit der Vergabe öffentlicher Rüstungsgelder nichts zu tun gehabt habe", schreibt LobbyControl.
Womit der Rüstungsgünstling aus Hamburg selbst die Analyse dafür geliefert hat, was das Phänomen Lobbyismus so intellektuell anregend macht: eben dass er oft in der Zone des moralisch und demokratisch Fragwürdigen stattfindet, ohne dass Gesetze überschritten werden.
Wobei auch nicht alles legal bleiben muss, was schlicht stinkt: Gerhard Schröder verdient sein Geld inzwischen just bei dem Unternehmen, das die Ostsee-Gaspipeline baut, für die er sich als Bundeskanzler eingesetzt hat. Damit ist Schröder nur das prominenteste Beispiel für das "Prinzip Drehtür", mit dem Politiker sich gern ihre Pensionen aufbessern. Darum plädiert nicht nur LobbyControl für eine gesetzliche Karenzzeit - eine Abklingphase nach dem Ausstieg aus der Politik.
Doch ist Lobbyismus ja im Regelfall bloß die Praxis, im unendlichen Überfluss an Informationen rechtzeitig ans Ohr eines Entscheiders zu gelangen. Manchmal ist dies sogar das Volk. So bietet die Lobbyagentur PJ - Berliner Büro für Kommunikation in der Reinhardtstraße an, Führungskräfte im Medienumgang zu schulen - etwa wenn es Tankerunglücke möglichst imageneutral zu erklären gibt. "Und wenn sich ein Kunde vor laufender Kamera um Kopf und Kragen zu reden droht, kann der Coach auch einfach mal durchs Bild laufen und so das Interview unbrauchbar machen", zitiert LobbyControl die Agentur-Chefin.
Die Bevölkerung ist auch wichtigste Zielgruppe einer verbreiteten Lobbytechnik mit dem schönen englischen Namen "Astroturf", Kunstrasen. Gemeint sind Pseudo-Bürgerbewegungen, die von Unternehmen und Verbänden zwecks Vermehrung von Glaubwürdigkeit gegründet oder gesteuert werden. So betreibt etwa die Atomlobby am Robert-Koch-Platz, der an der Reinhardtstraße auf halbem Wege liegt, den Verein "Bürger für Technik". Dieser wirbt seit Jahren für einschlägige Aufklärung in Schulen oder Museen und schreibt fleißig atomfreundliche Leserbriefe an die Zeitungen in der ganzen Republik.
Wobei LobbyControl bei der Würdigung der Reinhardtstraße nördlich der Spree keinesfalls die Ärzteverbände hätte vergessen dürfen. Schließlich haben Kassenärztliche Bundesvereinigung, Bundesärztekammer und der Verband der Krankenhausärzte Marburger Bund hier auch ihr Quartier aufgeschlagen. Die Kunstfertigkeit, mit der die organisierte Ärzteschaft bei noch jeder Gesundheitsreform ihre eigenen finanziellen Interessen als "Patientenwohl" verkauft hat, wäre einen Eintrag wert gewesen. Zumal die CDU-Gesundheitspolitikerin Annette Widmann-Mauz ein bleibendes Kapitel Politikgeschichte geschrieben hat, als sie in den 2003er Reformverhandlungen die Position der CDU dadurch vertrat, dass sie schlicht von einem Fax der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ablas.
Doch findet immerhin die Pharmalobby, namentlich der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, ausführliche Erwähnung. Und wo man hier schon am Hausvogteiplatz steht, macht LobbyControl ausnahmsweise auch ein klein bisschen Werbung: in der Kleinen Jägerstraße 10 gleich ums Eck sei eine nette Eisdiele mit Bio-Eis, schreiben die Autoren: Die Kugel - "z. B. Mango Ingwer, Quark Erdbeer" - zu 70 Cent. Das müssen anstrengende Recherchen im vergangenen Sommer gewesen sein.
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