Berlinmusik: Fluss und Einfluss
Die Deutsche Grammophon hat sich in den vergangenen Jahren gehörig reformiert, um nicht zu sagen neu erfunden. In der „Recomposed“-Reihe ließ sie elektronische Musiker wie Carl Craig und Moritz von Oswald ans klassische Werk, jüngst veröffentlichten die Club-Stars Tale Of Us ein Album auf dem Label, spannende Kollaborationen wie die von Alice Sara Ott mit Francesco Tristano waren zu hören.
Mit einem gemeinsamen Album vom Krautrock- und Ambient-Pionier Hans-Joachim Roedelius mit dem Berliner Pianisten und Produzenten Kasar (bürgerlich Arnold Kasar) folgt nun eine weitere spannende Zusammensetzung. Hier Roedelius, tief vom Hippiespirit geprägte Legende mit Cluster und Harmonia, und dort Kasar, der im Umfeld des Sonar Kollektivs wirkte, zwischen Minimal, Ambient, Pop und Jazz unterwegs war und zuletzt einige wunderbar ätherisch-finstere Stücke herausgebracht hat. „Einfluss“ heißt ihr gemeinsames Werk, und das passt natürlich wie die Faust aufs Auge bei zwei Künstlern, die Musik als etwas Fluides betrachten: ein Fluss, auf den man Einfluss hat.
Der inzwischen 82-jährige Roedelius, der nie im Leben Klavierunterricht hatte und sich fast alles selbst draufgeschafft hat, spielt hier ein leicht federndes, sanftes Klavier, dazu spielt das Duo mit dem 37 Jahre jüngeren Kasar feingliedrige elektronische Geräusche ein. „Es gehört dazu, dass man mit dem Herzen und mit dem Gefühl hört und nicht mit der Absicht, etwas Tolles zu produzieren“, erklärt Roedelius den Ansatz.
Den kann man hören: Da findet man Call-and-Response-artige Passagen, da lassen sich zwei Musiker gegenseitig den Raum, den sie brauchen. Im Zentrum stehen immer Suchbewegungen auf dem Piano in mittlerem Tempo – wenn Beats und elektronisches Knistern dazukommt, so klingt dies meist reduziert und minimalistisch. Die Stücke heißen „Blaupause“, „Mollmaterial“ oder „Lullaby“, und sie scheinen tatsächlich ganz langsam hin- und herzuwiegen. Zwischendurch auch mal mit mehr Schwung, im Ganzen aber eher ruhig.
Entschleunigungs- oder Meditationsmusik würden manche das vielleicht etwas pejorativ nennen – wer dies aber tut, der hat wirklich nicht richtig zugehört. Auf „Einfluss“ kommt Musik zu sich selbst, sie verfolgt keinen anderen Zweck, als in dem Moment da zu sein und einen aufmerksamen Zuhörer einzufordern. Jens Uthoff
Hans-Joachim Roedelius & Arnold Kasar: „Einfluss“ (Deutsche Grammophon/Universal Music)
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