Berlinmusik: Tastenim Strom
Gerade einmal vier Soloalben, das scheint nicht viel für eine Pianistin mit 25 Jahren Bühnenerfahrung. Wobei man das im Fall der Avantgarde-Jazzmusikerin Satoko Fujii etwas genauer einordnen muss. Fujii, die zwischen Berlin und Tokio hin und her pendelt, nimmt am laufenden Band Alben auf, mit ihren diversen Orchestern in Städten rund um den Globus oder mit wechselnden Kammerbesetzungen. Auf knapp 80 Tonträgern ist sie an den Tasten zu hören. Insofern sind ihre im Alleingang eingespielten Schallplatten eben Raritäten in einem kaum zu überblickenden dokumentierten Werk.
„Invisible Hand“, der jüngste Einblick in Fujiis spontane Schöpfungen, ist ein Livemitschnitt vom Vorjahr. Mit dem Titel ist wohl nicht das ökonomische Selbstregulierungsprinzip à la Adam Smith gemeint, sondern eher ihre eigene Hand. Denn Fujii liebt Gegensätze, spielt konventionell auf den Tasten, mit präparierten Saiten und im Innenraum, in dem ihre Hand zeitweilig verschwindet.
Die Kontraste bildet Fujii in diesem Fall weniger innerhalb der einzelnen Stücke, als dass sie ihr Spektrum über das gesamte anderthalbstündige Programm verteilt. Romantisch-tonale Nummern wechseln sich mit kantigen Dissonanzvolten, nur in Ausnahmen wie dem Titelstück kombiniert sie etwa eine elegische Melodie mit kratzenden Interventionen im Klavier. Doch ganz gleich, welches Vokabular sie wählt, die Binnenspannung ihrer Stücke ist gleichbleibend hoch. Elektrisierend!
Elektrisch gestaltet sich auch das neue Album von Chris Abrahams und Burkhard Beins, die sich zudem über den großen Preis für globales Musikschaffen freuen dürfen. Abrahams, australischer Pianist mit regelmäßigen Konzertverpflichtungen in Berlin, hat in seiner Heimatstadt Sydney mit dem Berliner Perkussionisten Burkhard Beins eine Platte mit reiner Synthesizermusik aufgenommen. Erschienen ist „Instead of the Sun“ dann beim malaysischen Label Herbal International.
Das Duo versenkt sich in die Eigengesetzlichkeit seiner Geräte und nutzt deren Potenzial zur Geräuscherzeugung: Rauschen, Zischen und Zwitschern statt Melodien, Arpeggien oder gar Akkorden. Optimistisch geben sich die Echtzeitmusik-geschulten Improvisatoren nicht gerade, was Titel wie „No Need to Pity Mankind Now“ andeuten. Aber auch Heiner Müller wusste schon: „Optimismus ist nur ein Mangel an Information.“
Tim Caspar Boehme
Satoko Fujii: „Invisible Hand“ (Cortez Sound)
Chris Abrahams & Burkhard Beins: „Instead of the Sun“ (Herbal International)
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