Berlinmusik: Krähen und Strahlen
Lorenz Brunner verkörpert einen Musikertypus, der im einst sehr schnelllebigen House-Universum fast schon antiquiert ist. Als Recondite hat er sich auf melodisch-melancholisch-minimalen House und Techno verlegt, auf kleine Melodien über – mutmaßlich – digital pluckerndem Beat. Die Hochphase dieser Clubkultur schien vor zehn Jahren erreicht, doch mittlerweile kann man zwischen Kontinuität und Revival nicht immer sauber unterscheiden. Stellt sich eher die Frage: Was ist gelungen, was nicht?
Mit seinem jüngsten Mini-Album hat sich Brunner erneut seiner bayerisch-ländlichen Herkunft zugewandt, die er 2013 auf seinem längst klassischen Album „Hinterland“ verewigt hat. Die Field Recordings, die der Wahlberliner Brunner seinerzeit für „Hinterland“ aufnahm, hat er auf „Corvus“ jetzt prominent verwendet. Dunkel wie der hohe Tann seiner Heimat sind seine Produktionen, ein wenig versonnen rätselhaft, zugleich wunderbar dicht und von menschenfreundlicher Wärme.
Wenn er im Titeltrack dann mal die Krähen krächzen lässt – corvus ist der lateinische Name für Raben und Krähen –, mag man das ein bisschen viel des Guten finden. Andererseits sind Krähen wirklich faszinierende Vögel (nachzulesen etwa in taz-Autor Cord Riechelmanns Buch „Krähen“), und wenn man es schafft, sich vom Klischee der gefiederten Unheilsbringer zu lösen, lässt sich in Brunners Kombination von glockenhellen Synthesizerklängen und heiserem Vogelgekrächze etwas unerwartet Schönes entdecken. Eigentlich eine lustige Vorstellung: Clubs mit Krähenbeschallung, da kommt die Grenze zwischen innen und außen etwas ins Rutschen.
Naturgeräusche finden sich im Schaffen Grischa Lichtenbergers hingegen weniger, zumindest sind die Themen seiner jüngsten EP-Trilogie „Spielraum | Allgegenwart | Strahlung“ vorwiegend abstrakter Natur. Dazu passend bedient er sich gern artifizieller Klänge, verzerrter Synthesizer, scheinbar orientierungslos stolpernder Rhythmen. Bloß die gelegentlichen Worte verfremdeter Stimmen erinnern daran, dass Lichtenbergers Musik sich nicht allein aus digitalen Quellen speist. Vielmehr standen Text von Walter Benjamin, Elias Canetti oder dem Dichter Guillaume Apollinaire für seine Musik Pate. Die Musik öffnet dazu ihren eigenen Denkraum. Mit oder ohne Text. Tim Caspar Boehme
Recondite: „Corvus“ (Ghostly International)
Grischa Lichtenberger: „Spielraum | Allgegenwart | Strahlung“ (Raster-Noton/Kompakt)
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