Berlinmusik: Kritikund Witz
Warum sich gegen die Omnipräsenz des Fußballs wehren, wenn man doch kreativ mit ihr umgehen kann? Das dachten sich das Hebbel Am Ufer und einige namhafte Berliner Musiker kürzlich während der EM, als sie ein „Fussical“ – also ein Fußball-Musical – namens „Der Spielmacher“ konzipierten. Nach dem Motto: Es muss doch möglich sein, die Licht- und Schattenseiten des Fußballs in eine gute Musikinszenierung zu übersetzen. Und siehe da, mit diesem Stück über den fiktiven Drittliga-Klub Bussard Berlin, von dem es jüngst vier Aufführungen gab, gelang ihnen das sehr gut.
Das dazugehörige Album „Der Spielmacher“ ist nicht nur für die, die die Inszenierung verpasst haben, empfehlenswert. Man könnte an dieser Stelle einfach mit ein bisschen Namedropping argumentieren. Jens Friebe, Christiane Rösinger, Andreas Spechtl (Ja, Panik), Chris Imler und Die Türen: sie alle haben mitgewirkt und insgesamt 17 Songs über das Runde und das Eckige geschrieben.
Dabei gelingt ihnen wirklich perfekt die Balance zwischen Kritik und Witz. Christiane Rösinger etwa wirft nicht nur einen Blick auf die Schönheit des Spiels, sondern auf die Strukturen drum herum. Die nämlich sind oft „weiß, männlich, heterosexuell“, und „die Vereinsmeierei, die geht mir so am Arsch vorbei“.
Nicht nur Rösinger, auch der als Schlagzeuger aus diversen Bands (Jens Friebe, Oum Shatt) bekannte Chris Imler weist auf die Dialektik des Fußballsports hin. Er weiß: „Fan ist ein Stahlbad.“ Großartig auch das Lied „Korruption ist mein Verein“ von Die Türen.
Auf diesem Album löst das Fussical-Ensemble auch das letzte große Geheimnis des Fußballs: Was denkt ein Ball? In den „Ballologen“ (Die Tore featuring Verena Unbehaun) lassen die Musiker endlich mal denjenigen zu Wort kommen, ohne den sie alle – Zeugwart, Spielmacher, Trainer – nichts wären. Das runde Leder berichtet in dem Spoken-Word-Stück: „Ihr kennt mich aus dem Netz. […] Ich bin dick, immer prall. Ich habe auch eine weiche Seite, eine Seele. Ich passe mich an, bin formbar, teamfähig, easy to navigate. Ich bin Opportunist und Diktator, Yin und Yang.“
Musikalisch gibt es revueartige Stücken, die an die 20er Jahre erinnern (Jens Friebe), Schlagerartiges (Die Türen featuring Vivien Mahler), Songs mit Rolling-Stones-Anleihen (Die Türen) und melancholischen Songwriter-Pop (Christiane Rösinger). Das könnte selbst Fußballhassern gefallen. Jens Uthoff
Der Spielmacher (Staatsakt/ Universal Music)
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